Die Magie des Spiels von Frances McDormand liegt darin, dass es immer so aussieht, als würde sie gar nichts Nennenswertes tun, während sie schon längst die Essenz eines Menschen auf die Leinwand gezaubert hat. Mit Nomadland hat sie 2021 nicht nur ihren dritten Oscar als beste Schauspielerin, sondern auch den Oscar als Produzentin des besten Films gewonnen – mit sechzig Jahren hat sie sich damit einen Status erobert, der sonst nur Männern vorbehalten ist. Wir zeigen 18 Filme, von ihrem Debüt Blood Simple (1984) bis zu ihren jüngsten Werken, darunter natürlich auch ihre weiteren Oscar-Filme Fargo und Three Billboards Outside Ebbing, Missouri.
Anke Sterneborg
Eine Frau sitzt im Auto, das sie über eine unbefahrene, amerikanische Landstrasse steuert. Sie tut es auf eine Weise, die verrät, dass sie das seit Jahrzehnten so macht. An diesem Tag aber fallen ihr im Vorbeigleiten die titelgebenden Three Billboards outside Ebbing, Missouri (2017) auf, die schon lange nicht mehr gebucht wurden, weil der Verkehr inzwischen über eine neue Hauptstrasse weitläufig umgeleitet wird. Die letzten Plakate sind zerschlissen, das Holz verwittert. Sie hält inne und man kann dabei zuschauen, wie sich in ihrem Kopf eine Idee formt. So ist das ganz oft bei Frances McDormand, denn sie gehört zu den Schauspieler:innen, die keine Worte brauchen, um ganze Lebensgeschichten zu erzählen. Man schaut einfach nur in dieses Gesicht, das nicht schön ist, eher herb, fast schon unscheinbar, das Gesicht einer einfachen, aber auch taffen Frau, in dem sich all die Enttäuschungen und Schicksalsschläge abzeichnen, die sie im Laufe ihres Lebens, in der Ehe, bei der Arbeit oder als Mutter absorbiert hat.
Immer wieder hat Frances McDormand solche Frauen gespielt, die zäh und klaglos vieles hinnehmen, sich aber auch nicht scheuen, ihre Meinung zu sagen, egal wie unpopulär sie in ihrem Umfeld sein mag, sei es als Dorfpolizistin, die den verbrecherischen Machenschaften in Fargo (1996) mit methodischer Gelassenheit auf den Grund geht, sei es als kämpferische Arbeiterin in North Country (2005) wo sie sich für die Rechte der wenigen Frauen in der Männerwelt des Kohlebergbaus einsetzt oder eben in Three Billboards outside Ebbing, Missouri als Mutter, die bei den gleichgültigen Männern ihres Dorfes unnachgiebig die Aufklärung des Mordes an ihrer Tochter einfordert. Sie tut das mit einer besonderen Mischung aus No nonsense-Sachlichkeit, Scharfsinn und Komik, mit einem harten Zug um den Mund, der verrät, dass sie sich nichts gefallen lässt, mit einem feurigen Funkeln in den müden Augen und einem herausfordernd-lakonischen Lächeln auf den Lippen.
Ohne Rücksicht auf Verluste und Befindlichkeiten folgt diese Frau ihrem eigenen moralischen Kompass, nicht nur in ihren Rollen vor der Kamera, sondern auch in der Öffentlichkeit bei Preisverleihungen. So nutzte Frances McDormand eine Oscar-Rede für ein flammendes Plädoyer in Sachen Inklusion und Gleichberechtigung: Alle Frauen im Saal – ob sie nun vor oder hinter der Kamera arbeiten – bat sie aufzustehen: «Gentlemen, schauen Sie sich um», forderte sie, «denn wir alle haben Geschichten zu erzählen und Projekte, die finanziert werden müssen. Sprechen Sie nicht heute auf den Parties mit uns, laden Sie uns in ihre Büros ein und wir erzählen Ihnen alles darüber!»
So kämpferisch und widerstandsfähig war Frances McDormand von Anfang an, das bekam gleich in ihrem ersten Film Blood Simple (1984) nicht nur ein fieser Auftragskiller zu spüren, sondern auch ihr gewalttätiger Ehemann: «Ich habe keine Angst vor Dir, Marty!», schleuderte sie ihm entgegen, brach ihm im Gerangel einfach mal den Zeigefinger, um ihn anschliessend mit einem heftigen Tritt zum Brechen zu reizen. Diese unscheinbare, aber wehrhafte Frau zu unterschätzen, ist ein grosser Fehler. Das erlebten später in Fargo auch die Männer, die dachten, sie könnten der unbedarft wirkenden Polizistin Marge etwas vormachen, die da so behäbig hochschwanger durch den Schnee stapfte. Wie Columbos Schwester im Geiste lullte sie alle mit ihrer entwaffnend offenherzigen und scheinbar naiven Art ein, nur um sich unterdessen in aller Ruhe einen Reim auf den mörderischen Irrsinn zu machen, der sich da in ihrer friedlichen Welt ausbreitet.
Geboren wurde Frances McDormand 1957 als Cynthia Ann Smith in Chicago. Zu ihrer grundlegenden Erdung beigetragen hat gewiss, dass sie als eines von mehreren Adoptivkindern einer frommen Familie auf dem Land aufwuchs. Direkt nach der Schauspielschule war ihr erster Kinoauftritt in Blood Simple dann gleich eine Hauptrolle. Kaum zu glauben, dass die damals als 24jährige enorme Angst hatte, womöglich zu theatralisch zu agieren, und sich darum insgeheim entschied, möglichst gar nichts zu machen. Und tatsächlich liegt die Magie des Spiels von Frances McDormand darin, dass es immer so aussieht, als würde sie gar nichts Nennenswertes tun, während sie schon längst die Essenz eines Menschen auf die Leinwand gezaubert hat. So wie in Three Billboards outside Ebbing, Missouri sass Frances McDormand auch in der ersten Einstellung von Blood Simple in einem Auto, von hinten kaum auszumachen im schummrigen Dunkel der Nacht, fast so als könne man dabei zuschauen, wie sich hier ganz langsam ein grosses Talent materialisiert. Das Schicksal half ihr damals, weil die eigentlich für die Rolle vorgesehene Holly Hunter die Chance eines substanziellen Broadway Engagements ergriff. Dass sie die Abby dann tatsächlich spielen durfte, lag auch daran, dass sie einfach mal so sagte, dass sie zum zweiten Vorsprechen um 14 Uhr leider nicht kommen könne, weil sie ihrem Freund bei seinem ersten Soap Opera-Auftritt beistehen müsse. Dass diese Frau die Rolle nicht um jeden Preis wollte, gefiel den Coens, und Joel Coen sicherte sich diesen Schatz dann gleich für alle Zukunft, indem er die Schauspielerin quasi vom Fleck weg heiratete, weshalb sie in ihrer ersten Oscar-Dankesrede 12 Jahre später für Fargo verkündete, Ethan Coen habe sie zur Schauspielerin gemacht, Joel Coen zur Frau, und ihr Adoptivsohn Pedro zur Mutter. Und später, als die beiden längst ein Paar waren, war er es der ihr, wenn sie im Zusammenhang mit einer Audition nervös und unsicher war, sagte, dass die einzige Macht, die ein Schauspieler habe, die sei, nein zu sagen.
Damit erklärt sich wohl auch, dass sich Frances McDormand im Kino ziemlich rar macht, oft nur einen einzigen Film im Jahr zusagt und gerne auch ganz kleine Nebenrollen übernimmt, die immer einen grossen Eindruck hinterlassen, zum Beispiel als resolut liebevolle Mutter des jungen Musikreporters in Cameron Crowes Almost Famous (2000), die einem der luftigen Musikerfreunde ihres Sohnes eine telefonische Lebenslektion erteilt: «Be bold and the mighty forces will come to you» zitiert sie da einen Goethe-Satz, der allemal zu ihrem eignen Lebensmotto taugt. Ihr entspanntes Verhältnis zum Kino hat auch damit zu tun, dass ihr die Arbeit auf der Bühne unter anderem als Ensemble-Mitglied der berühmten New Yorker Wooster Group, zu der auch Willem Dafoe gehört, allemal wichtiger ist als jeder Ruhm, der im Kino zu erlangen ist: «Schauspieler arbeiten, und Filmstars haben Karrieren», hat sie mal gesagt: «Ich bin eine Charakterdarstellerin, das ist einfach so.» Insgesamt acht Filme hat sie inzwischen mit den Coens gedreht, acht Filme, die das Herzstück von Frances McDormands Schaffen sind, acht Rollen, die in alle Richtungen ausstrahlen, zu allem was sie sonst so macht, auch in Filmen wie Three Billboards outside Ebbing, Missouri und sogar dann, wenn sie, wie in der Serienversion von Fargo gar nicht mehr selber mitspielt.
Gemessen an den vielen Preisen, die Frances McDormand gewonnen hat, ist sie ein Star, doch sie selbst sieht sich eher als Schauspiel-Arbeiterin. Ungeschminkt, nur dezent geschmückt und mit supermarkttauglicher Frisur bekundete sie das im April 2021 auch auf der Oscar-Bühne: «Ich arbeite gerne und danke Ihnen dafür, dass Sie das wissen!» sagte sie da. Dazu passt der Satz, mit dem sie in Nomadland (2020) den Vorschlag der Frau von der Jobvermittlung, früher in Rente zu gehen, kontert: «Ich brauche Arbeit! Mir gefällt es, zu arbeiten!» Man könnte sagen, dass sich Frances McDormand nicht verbiegt, dass sie auch als Schauspielerin selten etwas sagt, das sie nicht auch als Mensch vertreten kann. Und dass sie umgekehrt, das Schauspielerische hinter dem Menschlichen tarnt.
Besonders evident ist das in Nomadland. Die rund sechzigjährige Fern, die in der grossen Depression des 21.Jahrhunderts ihren Mann, ihre Arbeit und ihr Haus verloren hat, verkörperte sie eher, als dass sie sie spielte, und wurde damit zur idealen Verbündeten von Chloe Zhao, in deren Werk dokumentarische Wahrhaftigkeit, kinematografische Schönheit und die Ökonomie des Erzählens auf besondere Weise zusammenfinden. Statt sich auf Worte zu verlassen, vertraut Zhao lieber dem Blick in Gesichter und Landschaften, und der Wahrhaftigkeit von Laiendarstellern, die ihre eigenen Lebenserfahrungen in die fiktiven Geschichten tragen. Umgekehrt floss aber auch die Lebensgeschichte von Frances McDormand in die Erzählung, ganz konkret mit den alten Fotos, die ihren eigenen Vater zeigen. Inmitten der vielen echten Wohn-Nomaden hat sich Frances McDormand ganz authentisch selbst in eine verwandelt.
Scheinbar simpel gestrickt, liefert sie geradezu unheimlich viele Nuancen und Widerhaken und schafft es immer wieder, Dinge ganz einfach und doch vieldeutig zu formulieren. Meistens sieht sie dabei fast unscheinbar aus, statt glamourösen Roben trägt sie funktionale Arbeitsklamotten, wie die Polizeiuniform in Fargo, den Blaumann in North Country oder einen simplen Hosenanzug, den sie aus dem eigenen Kleiderschrank an den Set mitbringt wie in Blood Simple. Statt Makeup trägt sie in erster Linie ihr eigenes Gesicht, umrahmt von Haaren, die meistens einfach so wachsen und fallen oder funktional zum Pferdeschwanz zusammengebunden sind. Insofern ist es auf subversive Weise absurd, dass sie in Burn after Reading (2008) von den Coen Brothers das grosse, schnell und kriminell verdiente Geld braucht, um sich mit einer ganzen Serie von Schönheitsoperationen in Form bringen zu lassen. Aber auch wenn die Figuren, die sie spielt, so wie hier ein Witz sind, bewahren sie sich eine innere Wahrheit. Und wenn es umgekehrt wirklich gar nichts mehr zu lachen gibt, dann macht sie kurzerhand einen staubtrockenen Witz.
Ihrem anpackenden Temperament entsprechend, wartet sie nicht tatenlos auf Rollenangebote, sondern stiftet selber Projekte an. So erkannte sie in Elizabeth Strouts mit dem Pulitzer Preis ausgezeichneten Roman «Olive Kitteridge» mit sicherem Gespür das Potential für eine Miniserie, die sie als Co-Produzentin zu ihrem persönlichen Herzensprojekt machte. Sie erwarb die Rechte, beauftragte die Entwicklung des Drehbuchs und überzeugte die Regisseurin Lisa Cholodenko, für die sie in Laurel Canyon (2002) bereits eine ziemlich wunderbar uneträgliche Hippie-Mutter und Popmusik-Produzentin mit jugendlichem Gefolge gespielt hatte, die Regie zu übernehmen.
Bei all diesen anpackend geerdeten Frauen vergisst man leicht, wie schön Frances McDormand auch aussehen kann, mit einem Hauch von mädchenhaft unschuldigem Charme in Blood Simple oder als platinblonde Glamour-Frau in The Man who wasn’t there (2001), wo sie in engen Kostümen, mit perfekt gestylten Locken und Sonnenbrille überzeugend zur verführerischen Femme Fatale wird. Doch meistens würden ihr solche Äusserlichkeiten nur den Weg zum inneren Kern ihrer Figuren verstellen. So hat sie sich im Laufe der Jahre immer stärker von den klassischen weiblichen Nebenrollen in der Welt der Männer emanzipiert. Mit ihrer unaufgeregt magnetischen Präsenz hat sie bewiesen, dass Figuren, denen sonst in Hollywood nur ein Schattendasein am Rande der Geschichten vergönnt ist, zwei Stunden Aufmerksamkeit allemal wert sind. Mit sechzig Jahren, also in einem Alter, in dem Frauen sonst ausgemustert werden, hat sie sich einen Status erobert, der sonst nur Männern vorbehalten ist. Dazu passt es, dass sie ihre Mildred in Three Billboards outside Ebbing, Missouri tatsächlich nach dem Vorbild der von John Wayne gespielten Helden in den Filmen von John Ford wie einen Mann angelegt, wie sie in einem der raren Interviews in der New York Times erzählte: «Diese Figuren können aus dem Nichts kommen, sie brauchen keinen grossen Hintergrund, man muss nicht erklären, warum sie so sind wie sie sind, sie sind es einfach!»
Anke Sterneborg, geboren 1960 in Erlangen, Studium Kunstgeschichte, Theaterwissenschaft und Publizistik in München und Berlin. Seit 1989 freie journalistische Arbeit über Film und Kunst u.a. für Süddeutsche Zeitung, rbbKulturradio, ZEITonline, epdFilm. Diverse Veröffentlichungen u.a. in Reclam Filmklassiker, Katalog der Retrospektive «Traumfrauen», Filmkonzepte Roman Polanski und Michael Haneke. Katalog Birgit Brenner, Wolfsburg 2021. Lebt in Berlin.