Am 6. Dezember, dem Samichlaus-Abend, steigen wir in die Keller der Filmgeschichte. Der vom Team «Kampfstern Hausi Leutenegger» präsentierte Abend bringt Fundstücke vom Kino-Friedhof ins REX. Auf dem Programm steht das gemischte Schweizer Doppel Kommando Leopard (1985) und Dieter Meiers Jetzt und alles (1981), weltexklusiv im Celluloid-Rumpel-Kratz-Modus, farblich im Ton alter Spannteppiche und abgeschmeckt mit verrückten 1970er-Trailern.
Benedikt Eppenberger
Die Bilanz von 130 Jahren Filmgeschichte: wenig bleibende Meisterwerke und eine Menge Schrott. Zwar ist einiges an Filmerbe in den letzten Jahrzehnten vermessen und analysiert, restauriert und digitalisiert worden; diese geretteten Filme aber bilden nur die Spitzen eines dunklen Kontinents. Dessen tiefe Schlünde sind die ewigen Jagdgründe von Team «Kampfstern Hausi Leutenegger» (KSHL), welches kürzlich von einer Expedition in die Kellergewölbe von Papas Kino zurückgekehrt ist. Im Gespräch mit Dr. Mabuse erläutert KSHL seine Filmauswahl.
Dr. Mabuse: «Kampfstern Hausi Leutenegger» bringt zwei Fundstücke ins Kino REX. Sind die beiden Filme eine Zufallswahl oder ausgewählte Perlen?
KSHL: Zu Beginn hielten wir es mit Bruce Lee, der mal sagte: «Nutze keinen Weg als Weg, habe keine Grenzen als Grenze.» Dann realisierten wir: Ohne Einschränkung gehts nicht. Für unsere erste Show einigten wir uns deshalb auf Filme aus den 1970er- oder 1980er-Jahren, mit Schweiz-Bezug und zwingend auf 35mm.
Dr. Mabuse: Analoge Projektion ab 35mm? Klingt nach Nostalgie.
KSHL: Absolut! Wir mögen es analog, deshalb wollen wir die Filme möglichst unbearbeitet zeigen, mit allen Kratzern, Bild- und Tonsprüngen. Schliesslich gilt es, jenes muffige Raketen-Glace-Sanagol-Kinoambiente zu rekonstruieren, das wir seit seinem Verschwinden vor 30 Jahren so schmerzlich vermissen.
Dr. Mabuse: Das ist aber schon alles zu Recht vergessener Quatsch, oder?
KSHL: «Zu Recht vergessener Quatsch»? So was gibt es nur, wenn man auf Kriterien wie «Relevanz» und «Kanon» pocht. Indem man so aber den letzten Dreck ausblendet, verbaut man sich den Zugang zu einer Vergangenheit, in der die Leute komische Dinge für wichtig hielten.
Dr. Mabuse: Ihr werft der institutionalisierten Filmhistorie Ignoranz vor?
KSHL: Im Gegenteil. Wir mögen es, wenn Filmhistoriker und Reprisen-Kinos unsere Jagdgründe ignorieren, um sich stattdessen an den Göttern des Kino-Olymps abzuarbeiten. So haben wir den ganzen Spass und die überraschenden Einsichten für uns allein.
Dr. Mabuse: Gebt uns ein Beispiel von überraschenden Einsichten.
KSHL: Nehmen wir den Film «Heintje: Ein Herz geht auf Reisen» von 1969. Auf den ersten Blick ein Film über Organhandel. Beim zweiten Hinschauen erkennt man dann aber den als Schmachtfetzen über einen minderjährigen Schnulzenfuzzi getarnten Aufklärungsfilm, der – und das ist kein Witz – vor den Gefahren des unkontrollierten Handels mit Atomwaffen warnt. Es wird gezeigt, wie der ahnungslose Kinderstar Heintje von ruchlosen Gangstern dazu missbraucht wird, spaltfähiges Material singend über die Grenze in die Schweiz zu schmuggeln. Früh schon manifestieren sich hier also Ängste davor, dass die Bombe in falsche Hände gelangen könnte.
Dr. Mabuse: Gibt es in den beiden ausgewählten Filmen ähnliche Überraschungen?
KSHL: Aber sicher. Kommando Leopard war 1985 der Versuch von Produzent Erwin C. Dietrich, mit einer Schweizer Grossproduktion Geld zu verdienen. Um die Gewinnaussichten nicht zu trüben, verzichtete man auf alles, was an Schweizer Filme aus dieser Zeit erinnerte. Als einzigen Schweizer Schauspieler verpflichtete Dietrich den Viererbob-Goldmedaillen-Gewinner Hans «Hausi» Leutenegger – allerdings erst, nachdem der Bob-Bolzer fürs Mitkaspern bezahlt hatte. Leutenegger hatte in Folge seine Sterbeszene auch bis zum letzten Atemzug ausgekostet. (Geschlagen wurde er erst von Bruno Ganz, der als Hitler eine noch längere Sterbeszene kriegte.) Wichtigster Erfolgsgarant dieser bis zu diesem Zeitpunkt teuersten Schweizer Filmproduktion war natürlich der tobende Egomane Klaus Kinski. Mit ihm erhielt man für die Promo einen Skandal frei Haus. Die dreisteste Promomassnahme aber war zweifellos die Verpflichtung von zwei bekannten deutschen Synchronsprechern (Thomas Danneberg und Manfred Lehmann) als Schauspieler. So kriegte Dietrich die Namen von grossen US-Stars aufs Plakat, denn er konnte mit den «deutschen Stimmen von Sylvester Stallone und John Travolta» werben.
Dr. Mabuse: Dagegen sieht Jetzt und alles aus wie das pure Gegenteil von Kommando Leopard?
KSHL: In gewisser Weise ja; trotzdem, es gibt Gemeinsamkeiten. Beide Schweizer – Erwin C. Dietrich und Dieter «Yello» Meier – versuchten einen unschweizerischen, einen internationalen Film zu machen. Auch der Vergleich Dieter Meier – Hausi Leutenegger ist interessant. Zwei Selbstdarsteller aus unterschiedlichen Milieus, die sich mittels Performances – der eine im Sport, der andere in der Kunst- und Musikszene – in die Öffentlichkeit hievten und dann erfolgreiche Unternehmer wurden. Daneben ist Jetzt und alles aber natürlich in erster Linie ein prima Film noir, der die Stimmung im schmutzig-trostlosen Westberlin zu Beginn der 1980er-Jahre wunderbar einfängt.
Dr. Mabuse: Abgerundet wird die Präsentation mit deutschen Trailern aus den 1970ern.
KSHL: Auch damit wollen wir Unterschiede zwischen heute und gestern herausstreichen. Heute sind Trailer saubere Filmzusammenfassungen (inkl. aller Höhepunkte), damit der Zuschauer beim Kaufentscheid genau weiss, worauf er sich einlässt, und beim Kinobesuch dann – Gott bewahre – keine Überraschungen erleben muss. Die alten Trailer hingegen waren weniger nüchtern, versprachen immer viel mehr, als der Film dann tatsächlich einlöste. Jeder wusste das, und doch klammerte man sich als Kino-Gläubiger an die Hoffnung, dass sich die geweckten Erwartungen eines Tages doch noch erfüllen würden. Wir betrachten solche Formen der gekonnten Verarschung als Kunstwerk und zeigen sie als Erinnerung an eine Zukunft, die nie mehr sein wird.
Benedikt Eppenberger ist Spielfilm- und Serienredaktor beim Schweizer Fernsehen SRF und Ko-Autor des Buches «Mädchen, Machos und Moneten» über Erwin C. Dietrich.
Die Trailerrollen wurden von Bernd Brehmer vom Werkstattkino München zusammengestellt - herzlichen Dank!