In unserer REX-Retro-Reihe beleuchten wir im Januar ein lokales Kapitel Film- und Kinogeschichte. Fred Zaugg blickt zurück auf die Aktivitäten des Filmklubs Bern, der von 1967 bis in die 1970er-Jahre im REX seine cinéphilen Filmabende organisierte und mit politisch ambitionierten Autorenfilmen ein kritisches Publikum gewinnen wollte. Mit Salvatore Giuliano, Viva Zapata! und Bande à part zeigen wir drei frühe Filme aus dem Programm des Filmklub Bern.
Es war wohl damals ungefähr so: Nach reichlichem Essen und Trinken mit Pasta, Sugo und Rioja inklusive traktandenreicher Sitzung in der ehemaligen Wander-Villa an der Stadtbachstrasse 38 machte sich eine Gruppe von drei (bis vier) Frauen und neun (oder nur acht?) Männern auf, die Stadt Bern zu erobern. Um 22.15 Uhr erreichte das «Dirty Dozen» das Kino Rex, seinen Stützpunkt.
Es ist leicht zu erraten, dass wir uns im Jahr 1967 befinden. Alles, was nach zwölf aussah und glaubte, einen Auftrag zur Aufklärung und vielleicht sogar Weltverbesserung zu haben, wurde in jenem Jahr «Dirty Dozen» genannt. Selbst wenn es sich um einen vielleicht nur elfköpfigen Klubvorstand handelte. Im Gegensatz zu Robert Aldrichs Kriegsfilm hatte das «kleine gemischte Berner Dutzend» weder eine kriminelle Vorgeschichte noch einen militärischen Auftrag im Kriegsjahr 1944 oder gar eine hollywoodsche Millionen- Dollar-Gage. Aber ein Ziel hatte es schon, ein wichtiges sogar, ein gesellschafts- und kulturpolitisches. Allerdings agierte die wild entschlossene Gruppe unter keinem reisserischen oder gar geschäftsträchtigen Namen.
Als «Filmklub Bern» wollte sie vom Kino Rex aus mit engagierten, bewegten und bewegenden Bildern für die siebente Kunst Terrain und ein interessiertes, neugieriges und kritisches Publikum gewinnen. Die künstlerischen Werte und die der Wahrheit und der Aufklärung dienenden Inhalte wollte der Filmklub Bern aufzeigen und zur Diskussion stellen. Film durfte nicht mehr bloss als wirtschaftliche und wohlfeile Unterhaltung, als willkommene Illusion und Träumerei in eher schwieriger Zeit angeboten und verstanden wer- Filmklub Bern: Eine Liebeserklärung oder ein Bekenntnis zum unabhängigen Film den. Das noch junge Medium – dessen war man sich sicher – ermöglichte einen Blick hinter Fassaden und Kulissen und damit die Vermittlung eines wahren Bildes der Welt und der Zeit, des Individuums und der Gemeinschaft, ja des ganzen bunten Lebens.
Mit einem Werbebrief hatten sich die Filmklubgründerinnen und -gründer beziehungsweise Vorstandsmitglieder an die Bevölkerung der Stadt Bern gewendet: «Suchen Sie ein engeres Verhältnis zum Medium Film?» Das erinnert doch an Partnervermittlung, an Singlebörse mit Herz. Muss das nicht Liebe sein? Weiter hiess es: «Der neugegründete Filmklub Bern möchte hier eine Lücke schliessen und allen Interessierten Gelegenheit zu Kontakten und Gesprächen bieten. Filme, die aus kommerziellen oder verleihtechnischen Gründen nicht im offiziellen Programm gezeigt werden können, wollen wir aufführen und uns auf fachlich fundierter Ebene mit ihnen auseinandersetzen.»
Erstmals gingen sie den Weg über die Schanzenbrücke und den Bubenbergplatz an die Schwanengasse 9. Es war Freitag. Und es war der 13., Freitag, der 13. Oktober 1967. Aber man war nicht abergläubisch. Im Gegenteil: Man war Willens, gegen Aberglauben und Ideologien ähnlicher Gefährlichkeit anzutreten. Aus dem Kino Rex strömte das Publikum der Halbneunvorstellung. Deshalb war für einen Augenblick nicht klar, ob schon Wartende für die erste Vorstellung des Filmklubs Bern vor dem Kino standen oder nur solche, die tief durchatmeten und sich von Bekannten, vielleicht Sitznachbarn verabschiedeten. Es blieben immer weniger. Die erste Vorführung des Filmklubs Bern, der wenige Wochen zuvor gegründet worden war, sollte gemäss der Abmachung mit dem Kinobesitzer Willy Hohl um 22.45 Uhr beginnen. Eine Nachtvorstellung. Eine Nocturne. Ein spätes Rendez-vous im Kino Rex. Es war kaum mehr ein «Dirty Dozen», das nun die Minuten hinauszögerte. Aber frierend blieben die Filmklübler Apostel des Films und ganz sicher seine Lover.
Eine der Frauen stellte sich mit einer Lochzange von Franz Carl Weber vor die Kinotür. Zu knipsen gab es jedoch kaum etwas. Leider ist nicht überliefert, ob der Vorstand mit seinen zwölf oder elf Mitgliedern nicht bis zuletzt gegenüber dem Publikum in der Mehrzahl blieb. Immerhin sei hier angemerkt, dass der Filmklub Bern vier Monate später bereits 290 Mitglieder hatte. Wie lernfähig die Filmklubleitung war, zeigt sich zudem darin, dass es im ersten Jahr noch hiess, der Mitgliederbeitrag belaufe sich auf «Fr. 50.– für Ehepaare» und schon ein Jahr später stand da: «Ehe- oder andere Paare: 50.–».
Die Begrüssung an jenem 13. im Kino Rex ging zu Ende, der Film fing an, die Hauptperson war tot. Sie hiess Salvatore Giuliano wie der Film. Der Regisseur Francesco Rosi wollte das so. Er rechnete mit spannenden Untersuchungen im unruhigen Sizilien. Auf den «jungen» italienischen Gangsterfilm mit dokumentarischer Basis folgten Werke aus der Filmgeschichte und Neues, Berühmtes und Experimentelles, Explosives und Unbeschwertes, Western und Eastern, Spiel und Drama. Und es gab Diskussionen und Streitgespräche – eine schöne Zeit, eine Zeit für das Kino, vor allem aber eine Zeit der Öffnung und des Ringens mit allzu engen amtlichen und filmwirtschaftlichen Bandagen. Besuche auf kommunistischen Botschaften wurden fichiert. Das merkten die fichierten Vorstandsmitglieder jedoch erst viel später, als ihnen Einsicht gewährt wurde.
Zu anderer Einsicht kamen sie schon früher: Als sie merkten, dass Konkurrenz drohte. Nein, sie drohte nicht, sie war willkommen. Das Kellerkino war im Entstehen, «die erste unabhängige Spielstelle der Schweiz mit der Zielsetzung, Filme, die in der Schweiz nicht gesehen werden können, zu zeigen». Das waren doch eigentlich die Ziele des Filmklubs – und «seine» Filme. Statt eines kräfteraubenden Wettkampfs beschloss der Filmklubvorstand, sich aus dem Ring zu nehmen und für das Kellerkino zu «werben». Nicht alle fanden das gut. Viele hatten den Filmklub Bern im Rex lieb gewonnen. So brauchte es einiges, um die in den Statuten geforderte «Zwei- Drittels-Mehrheit» für die Auflösung zustande zu bringen. Item, es ging. Übrigens eröffnete das Kellerkino am 4. November 1970 mit Jürg Hasslers Krawall, in dem es um den Kampf für ein autonomes Jugendzentrum in Zürich mit den bekannten Globuskrawallen ging.
Fred Zaugg
Fred Zaugg war lange Jahre Filmredaktor der Berner Tageszeitung «Der Bund». Am Sonntag, 17. Januar, 10.30 Uhr wirder im REX auf die Geschichte des Filmklubs Bern zurückblicken. Anschliessend zeigen wir Salvatore Giuliano.