«Geht einfach näher auf meine Augen»
Jugendliche Ausstrahlung, rebellische Energie, unerklärliche Wehmut – und diese Augen: Montgomery Clift (1920 bis 1966) gehört zu den Ausnahmeerscheinungen und grossen tragischen Figuren des Kinos. Zu seinem 50. Todestag am 23. Juli zeigen wir sieben seiner Filme. Darunter auch A Place in the Sun und damit seine Liebesszenen mit Elizabeth Taylor, die zu den unvergesslichsten gehören, die Hollywood hervorgebracht hat.
Ihm war es lieber, wenn Regisseure seine Dialoge zusammenstrichen. Monologe überliess er gern den Anderen. Nicht, dass sie ihn eingeschüchtert hätten. Aber wie jeder grosse Schauspieler besass er eine unfehlbare Intuition dafür, wie er auf der Leinwand wirkte. «Geht einfach näher auf meine Augen», schlug er den Kameraleuten vor.
Montgomery Clifts Augen waren nicht nur ein Spiegel seiner Seele, sondern auch seiner Intelligenz. Sein Blick ist nervös, folgt einer agilen Suchbewegung. Seine Wissbegierde scheint unbedingt. Mit jedem Lidschlag werden die Fragen dringlicher, die er stellt. Clift ist ein begnadeter Zuhörer, kann augenblicklich aufnehmen, was seine Partner ausdrücken wollen. Seine Empfänglichkeit bricht die Seelenknoten seines Gegenübers auf, stösst Prozesse der Ablösung und Trauerarbeit an. Nicht von ungefähr ist er brillant als Beichtvater in I Confess (1953) und als Neurochirurg in Suddenly, last Summer (1959), der als ein Psychoanalytiker agiert.
Seine Leinwandpartnerinnen scheint er mit seinen Blicken zu verschlingen. Aber er nimmt sie nicht als Sexobjekte wahr, sondern als Individuen. Sein Begehren ist gleichsam kameradschaftlich. Er vermittelt ihnen die Gewissheit, dass sie die Entscheidungen fällen. Wenn er Lee Remick in der Hochzeitsszene in Wild River (1960) anschaut, dann voller Bewunderung und zugleich Befremden darüber, dass eine solch starke Frau ihn heiraten will. Oft weckt der zartgliedrige, anfangs fast engelhaft wirkende Mann den Schutzinstinkt der Frauen. Aber welch enormen romantischen Spielraum eröffnet er damit! Seine Liebesszenen mit Elizabeth Taylor in A Place in the Sun (1951) gehören zu den unvergesslichsten, die das Hollywoodkino hervorgebracht hat.
Mit Montgomery Clift tritt nach dem Krieg ein ganz neue Leinwandfigur auf den Plan. Er taucht seine jugendliche Energie in eine unerklärte Wehmut. Seine Charaktere wirken entrückt. Er selbst meinte, ihnen fehle eine Haut. Davon, was ein richtiger Mann ist, hat er einen anderen Begriff als die amerikanische Gesellschaft. Es hat schon seine Richtigkeit, wenn Howard Hawks ihm in Red River (1948) einen viel zu grossen Hut aufsetzt. Aber seine ersten Leinwandauftritte setzen ein Signal des Aufbruchs. In The Search (1948) beweist er als GI, der sich eines Flüchtlingskindes annimmt, grosse Sensibilität. In Red River entmachtet er den alten Rancher John Wayne und bringt den Viehtreck dank eines weniger autokratischen, sondern flexibleren und phantasievolleren Führungsstils ans Ziel. Auch in Wild River steht seine Figur für einen aufgeklärten Fortschrittsglauben. Er vertraut auf die Vernunft der Bevölkerung von Tennessee, die ihn im Gegenzug Respekt vor dem Land und seinen Traditionen lehrt.
Mit Clift findet noch kein unwiderruflicher Generationswechsel statt. Die Widerstände gegen die Moderne besitzen vorerst grosse Beharrlichkeit. Es ist bezeichnend, wie häufig dieser schmächtige Darsteller auf der Leinwand in Schlägereien verwickelt wird. Er macht kenntlich, wie viel Furcht die Herausforderung der Gewalt seinen Figuren einjagt. Aber er weicht ihr nicht aus, sondern beweist stoisch Nehmerqualitäten und Selbstironie: «Wenigsten einen Kampf würde ich gern mal gewinnen», sagt er in Wild River. Auch in der Niederlage können seine Charaktere einen Sieg davontragen. Clifts reagierende, mitunter passive Präsenz dominiert die Leinwand. I Confess wird ganz getragen von der verschwiegenen Duldsamkeit, zu der er dort als Priester verurteilt ist. Burt Lancaster hatte eine Heidenangst, in From here to eternity (1953) nicht gegen ihn bestehen zu können.
Seine Hingabe an die Rollen trug ihm heftige Konflikte mit patriarchalischen Regisseuren ein, nicht jedoch mit seinen Kollegen: Er war ein grosszügiger Partner; ohne seine Unterstützung hätte Frank Sinatra den Oscar für From here to eternity wohl nicht gewonnen. Er war wählerisch, den 17 Filmen, in denen er auftrat, stehen rund 140 Angebote gegenüber, die er ablehnte. Auf seine Rollen bereitete er sich akribisch vor. Für From here to eternity nahm er monatelang Boxunterricht; für I Confess studierte er ebenso lang, wie sich Priester in einer Soutane bewegen; er brach sich beinahe das Rückgrat bei der Vorbereitung der Rodeo-Szenen in The Misfits (1961). Es wäre allerdings nur zur Hälfte richtig, dieses rückhaltlose Eintauchen in die Figuren als method acting zu bezeichnen. Den Propheten der Bewegung, Lee Strasberg, hielt er für einen Scharlatan. Clifts Spiel ist weniger manieriert als das seiner Nachfolger (und Konkurrenten) Marlon Brando und James Dean. Es altert besser. Gleichwohl hat er viel mit ihnen gemeinsam. Ebenso wie sie stammt er aus dem Mittelwesten, hatte eine obsessive Mutterbindung, war vom Vater entfremdet und bisexuell. Auch seinem Spiel eignet zuweilen etwas Narzisstisches. Die Szene, in der sein zerrissener Aussenseiter in A Place in the Sun während einer Abendgesellschaft allein Billard spielt, ist ein Meisterstück selbstvergessener Konzentration.
Seine Rollen lassen sich als Metapher lesen für die Suche nach Wahrhaftigkeit in einer unaufrichtigen Gesellschaft. Sie scheinen durch seine eigene Biographie beglaubigt. Der mondäne Ehrgeiz seiner Mutter schlägt sich in A place in the sun und in Suddenly, last Summer nieder. Sein erster Auftritt in The Misfits, das Telefongespräch mit der Mutter, spielt auf den verheerenden Verkehrsunfall an, nach dem sein Gesicht von einem plastischen Chirurgen wiederhergestellt werden musste. Das war eine schreckliche Zäsur in seiner Karriere. Danach war er von Schmerzmitteln und anderen Drogen abhängig. Nun spiegeln sich in seinen Augen Anspannung und Schmerz. The Misfits scheint eine Bilanz zu ziehen beschädigter, entwurzelter Biographien. Aber seinen Figuren wächst auch eine ungekannte Reife zu. Seine Stimme wird rauer und dunkler, sie gewinnt grössere Autorität. Zuhören kann er noch immer besser als jeder Schauspieler seiner Generation. Und die Fragen, die seine Augen stellen, werden noch dringlicher.
Gerhard Midding
Gerhard Midding ist freier Filmjournalist. Er arbeitet für Tageszeitungen, Fachzeitschriften, Rundfunk, hat als Autor, Herausgeber oder Übersetzer an zahlreichen Filmbüchern mitgewirkt und lebt in Berlin.