Fake News, Verschwörungstheorien, Gewaltfantasien: Die durch die Covid-Pandemie zusätzlich aufgeheizte paranoide Stimmung ist uns Anlass für eine Revue des amerikanischen Kinos der Verunsicherung. Wir zeigen 13 Filme, darunter Klassiker wie The Manchurian Candidate, The Conversation oder Network, welche nicht nur von Obsessionen und Ängsten erzählen, sondern in ihrer Struktur oft selbst paranoide Züge annehmen. Und die sich im Rückblick als geradezu prophetisch erweisen.
Johannes Binotto
Mit dem neuen Präsidenten hätte auch etwas mehr Gelassenheit ins Weisse Haus und in die US-Politik insgesamt einziehen sollen. Doch die Aufregung geht nach wie vor um in der amerikanischen Kultur – und nicht nur in ihr. In obskuren Online-Foren träumen selbst ernannte Rebellen auch nach der Abwahl Trumps nur noch heftiger von einem Bürgerkrieg. Und in Reaktion auf die Corona-Pandemie breiten sich Verschwörungserzählungen aus. Die Paranoia ist ansteckend – nicht nur in den USA, sondern weltweit. Doch so brandaktuell diese paranoide Atmosphäre in diesen Tagen wieder um sich greift, ein wirklich neues Phänomen ist sie nicht.
Als «paranoid style» hat der Historiker Richard Hofstadter die US-typische Rhetorik des Misstrauens bereits in den Sechzigern beschrieben. Tatsächlich aber ist der Hang zur Paranoia wohl noch älter, so alt wie die Nation selbst, steht doch am Beginn der amerikanischen Siedlungsbewegung der Glaube, ein von Gott auserwähltes, im alten Europa aber verfolgtes Volk zu sein. Dieses ebenso selbstbewusste wie auch paranoide Narrativ lässt sich bis heute immer wieder reaktivieren, wie in jener Parole der Rassisten von Charlottesville: «You will not replace us», oder jenem braunen Geraune vom «grossen Austausch», das man auch bei uns zuweilen hört.
Zugleich, und das macht das Thema so zwiespältig, gibt die US-Geschichte in der Tat immer wieder gut begründeten Anlass zur Paranoia: Dass Bevölkerungsgruppen systematisch verfolgt werden, ist kein Hirngespinst, sondern brutale und erschreckend alltägliche Realität – wie es die Schwarzen von den Tagen der Sklaverei bis zur heutigen Polizeigewalt erleben. Auch die Kommunistenhatz nach dem Zweiten Weltkrieg und das atomare Wettrüsten im Kalten Krieg, die Kennedy-Attentate oder die Lügen Richard Nixons – sie machen bewusst, dass Realpolitik oft noch abgründiger ist als jeder scheinbare Wahn. Kein Wunder entwickelte sich in den USA der Paranoiafilm zu einem eigenen Genre, das immer dann eine neue Blüte erlebt, wenn die ganze Nation erschüttert wird. Ein Film wie John Frankenheimers The Manchurian Candidate (1962) erzählt, wie die Kriegshelden aus dem Koreakrieg als gehirngewaschene Doppelagenten nach Hause kommen, und nimmt damit die Traumatisierung der Kriegsheimkehrer ebenso auf wie die neuen Ängste vor einer angeblichen kommunistischen Verschwörung, die alle Amerikaner infiltriert. Dabei ist die Verschiebung, die The Manchurian Candidate vornimmt, ganz besonders aussagekräftig: Die Bedrohung liegt nicht mehr im Ausland, und statt auf einem Schlachtfeld formiert sie sich in den Hirnen der eigenen Soldaten, die nicht mal mehr selber wissen, für wen oder was sie in Wahrheit kämpfen. Die Gefahr ist nicht da draussen, sie steckt in uns drin, und je besser sie sich tarnt, umso grösser wird die Angst vor ihr.
Paranoia eignet sich wie wohl kaum ein anderes zum Kino-Thema, weil sich in ihr immer auch die Möglichkeiten des filmischen Mediums spiegeln. Die paranoide Vorstellung, dass alles nur Täuschung ist und von einer fremden Macht kontrolliert wird, findet seine Entsprechung in jener durchaus realen Kontrolle, die bei jedem Filmdreh herrschen muss: Im Kino, wo ja alles erst inszeniert werden muss, ist tatsächlich nichts echt und jede Tasse im Schrank von der Ausstattungsabteilung platziert. Darum sind die amerikanischen Paranoiafilme auch immer selbstreflexive Studien über die manipulativen Möglichkeiten des eigenen Mediums: Wenn in Francis Ford Coppolas The Conversation (1974) der Überwacher an seiner Bandmaschine ein scheinbar banales Gespräch zweier Verliebter so lange bearbeitet, bis es nach einer tödlichen Verschwörung klingt, oder wenn in Brian de Palmas Blow Out (1981) ein Tontechniker aus Zeitungsbildern und Tonstückchen einen Film zusammenschnippelt, der ein Attentat beweisen soll, dann sehen wir eigentlich nichts anderem zu als der Herstellung eben jener Filme, die wir in dem Moment betrachten. Walter Murch, der Cutter und Sound-Designer von The Conversation, hat erzählt, wie er beim Schneiden dieses Films selber verwirrt gewesen war, weil es ihm so vorkam, als würde er auf dem Bildschirm seines Schneidetischs sich laufend selber bei der Arbeit zuschauen – eine wahrlich paranoide Vorstellung. So wie man in der Psychose glaubt, dass aus dem Fernseher Befehle kommen, so sieht Murch auf dem Bildschirm bereits jene Arbeit festgehalten, die er erst noch leisten muss.
Dass genau jene Medien uns paranoid machen, die uns eigentlich Orientierung geben sollten, beobachten wir heute, wenn Facebook-Bekannte anfangen, obskure Youtube-Videos zu verlinken. Neu ist das Phänomen nicht. Sidney Lumet und sein Drehbuchautor Paddy Chayefsky erzählen bereits in den Siebzigern in ihrem Opus magnum Network (1976), wie das Massenmedium Fernsehen zu einem kafkaesken Gefängnis wird, in dem jeglicher Widerstand nicht nur zwecklos, sondern bereits eingeplant ist: Wenn ein Fernsehmoderator zum Aufstand gegen die massenmediale Verdummung aufruft, macht ihn das bloss zum neuen Star des Senders, den er demontieren wollte. Lumets Film nimmt damit die Paradoxien vorweg, die wir heute erleben, wenn wir auf sozialen Netzwerken vor den Gefahren eben dieser sozialen Netzwerke warnen. Als geradezu prophetisch hat sich denn auch Peter Weirs The Truman Show (1998) erwiesen, dessen Titelfigur in einer Fernsehserie lebt, ohne es zu wissen. Was sich Lumet und Weir noch vor Big Brother und Dschungelcamp als satirische Überspitzung einer angehenden Reality-TV-Kultur ausmalten, ist von der Wirklichkeit längst übertroffen worden. Heute kommen Menschen in die Psychiatrie, die genau das glauben, was in Weirs Film noch Fiktion ist. Die Ärzte haben diese neue Form des Verfolgungswahns denn auch prompt «Truman Show delusion» getauft. Die Realität imitiert die paranoide Fiktion. Und so wird auch, wer sich heute Don Siegels Invasion of the Body Snatchers (1956) anschaut, darin unweigerlich auch eine schillernde Metapher für die aktuelle Pandemie-Situation erkennen.
Die brillantesten Paranoiafilme sind ohnehin diejenigen, in denen sich Grenzen verwischen und die von Verschwörungen nicht aus der Distanz erzählen, sondern die selber eine paranoide Struktur annehmen. Alan Pakulas The Parallax View (1973) über einen Journalisten, der einer Organisation auf die Fährte kommt, die Attentate an Politikern verübt, ist deswegen so genial und auch so verstörend, weil wir als Publikum allmählich Pakulas eigenem Film nicht mehr trauen. Zu sehr beginnen sich merkwürdige Szenen zu häufen, etwa wenn das Gespräch mit einem Informanten auf der Fahrt mit einem Miniaturzug stattfindet, wenn Figuren, die eben noch da waren, einen Schnitt später tot auf einem Seziertisch liegen, oder wenn eine Bombe ausgerechnet dort explodiert, wo die Kamera nicht hinschaut. Und spätestens wenn The Parallax View jene Gehirnwäsche, mit der im Film zukünftige Attentäter abgerichtet werden, auch auf uns anwendet, beginnt uns die Geschichte ebenso zu entgleiten wie der Hauptfigur. Können wir wirklich glauben, was wir da angeblich gesehen haben sollen? Dazu passt, dass der im Filmtitel erwähnte Begriff «Parallaxe» das optische Phänomen beschreibt, bei dem man für eine Bewegung von Objekten hält, was eigentlich von eigenen Bewegung des Betrachters herrührt. In seiner Überschrift steckt also schon die unangenehme These des Films: dass die Verschwörung zu wachsen scheint, hängt daran, dass ich selber mich immer mehr in sie hineinbegebe.
Es sei schon seltsam, wie Paranoia sich immer wieder mit der Realität verlinke, hat der Science-Fiction-Autor Philip K. Dick einmal geschrieben, und tatsächlich ist der Blick aufs Genre des Paranoiakinos deswegen für uns heute so verblüffend, weil diese Filme im Nachhinein wie Kommentare auf die gegenwärtige Situation erscheinen. Wie die kommunistischen Schläfer, von denen das Nachkriegsamerika sich fürchtete, scheinen auch diese Filme nur darauf gewartet zu haben, um heute noch besser zuschlagen zu können als damals, als sie ins Kino kamen. George Romeros Night of the Living Dead war schon 1968, zur Zeit seiner Entstehung, auch als Allegorie über US-amerikanischen Rassismus gedacht, und das wird heute, im Lichte von Black Lives Matter, nur noch klarer sichtbar. Martin Scorseses Taxi Driver (1974) um einen Mann, der seine eigene Haltlosigkeit damit zu kompensieren versucht, dass er sich als «god’s lonely man» imaginiert und glaubt, als Racheengel die geschändeten Kinder vor bösen fremdländischen Männern zu befreien – das ist auch ein Porträt all jener rechtsextremen Terroristen der letzten Jahre, die sich bei ihren Attentaten auf einem Kreuzzug gegen Satan glauben. Erscheint uns die Hauptfigur von Taxi Driver im Lichte der Gegenwart damit nur immer noch bedrohlicher, erkennen wir uns im Gegensatz dazu nicht immer besser in jenem Familienvater aus Jeff Nichols Take Shelter (2011), der eine Naturkatastrophe herannahen spürt? Was dieser Film in ebenso stille wie beunruhigende Bilder fasst, ist nichts anderes als das wovor die Klimaforschung uns schon so lange warnt. Auch das verstörende Gefühl, schon am nächsten Tag sterben zu müssen, das in Amy Seimetz’ She Dies Tomorrow (2020) die Figuren befällt, kennen wir besser, als wir es vielleicht zugeben mögen.
Trotzdem führen uns all diese Filme aber auch vor, wie man trotz allem nicht verzweifelt und wie ein Ausweg aus dem Teufelskreis der Paranoia zumindest denkbar wäre: Denn wenn – gemäss Psychoanalyse – das Pathologische der Paranoia darin liegt, dass der Verfolgungswahn behauptet, eine lückenlose Erklärung für alles zu haben, dann entpuppt sich gerade die Unsicherheit als Zeichen von Gesundheit. Das Gegenmittel gegen Paranoia, so führen uns die Filme von Amy Seimetz oder Alan Pakula, von Don Siegel oder Francis Ford Coppola vor, ist nicht eine lückenlose Welterklärung, sondern das Einräumen und Aushalten von Unsicherheit und Ambivalenz. Diese Lücke der Ungewissheit kann die Sehnsucht nach neuen Verschwörungstheorien und ihren Sicherheitsversprechen auslösen, gewiss. In dieser Ungewissheit steckt aber auch eine Hoffnung: die Hoffnung nämlich, dass die Dinge nicht so herauskommen müssen, wie wir es in unseren schlimmsten Ängsten bereits zu wissen glauben.
Dr. Johannes Binotto ist Kultur- und Medienwissenschaftler, Dozent für Filmtheorie an der Hochschule Luzern Design+Kunst und Mitarbeiter am English Department der Universität Zürich, ausserdem freier Filmpublizist, Videoessayist und ständiger Autor der Zeitschrift «Filmbulletin». Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Phänomene des Unheimlichen und der Zusammenhang zwischen Film, Technik und Psychoanalyse. www.medienkulturtechnik.org
«Pandemic Paranoia» basiert auf einer ursprünglich von Nicole Reinhard und Johannes Binotto fürs Stadtkino Basel kuratierten Filmreihe.