Romy Schneider (1938–1982) war knapp 20 und bereits ein Star, als sie 1958 nach Paris ging. In Frankreich wollte sie sich vom Sissi-Image befreien. Mit ihrer Mischung aus Unschuld, Schamlosigkeit und Verletzlichkeit wurde sie zum Sinnbild der modernen Liebenden, zur erotischen Ikone, aber auch zum Spielball des männlichen Blicks – und nach ihrem tragischen Tod zum Mythos. Wir zeichnen diesen Weg am Beispiel ihrer markantesten Filme nach, die sie mit Regisseuren wie Luchino Visconti, Orson Welles, Andrej Zulawski, Jacques Deray und immer wieder Claude Sautet drehte.
Als Romy Schneider mit knapp 20 Jahren nach Paris ging, hatte sie bereits 14 Filme gedreht und war als Sissi weit über den deutschsprachigen Raum hinaus bekannt. Sie hatte Millionen verdient und hätte das auch vorerst weiter tun können, wenn sie an einem der vielen Drehbücher Interesse gehabt hätte, die ihr zugeschickt wurden. Aber sie nahm sich die Freiheit, eins nach dem anderen abzulehnen. Ihr Widerwille gegen das kontrollierte, aber auch behütete Prinzessinnen-Leben, das sie bisher geführt hatte, und ihre Lust auf Abenteuer müssen sehr ausgeprägt gewesen sein, als sie 1958 ihrem Geliebten Alain Delon nach Paris folgte, wo niemand sonst auf sie wartete.
Es galt, ein neues Profil zu entwickeln, und so begann Romy Schneider mit sich selbst zu experimentieren. 1961 erschien sie, lässig elegant, als reiche Bürgerstochter und Gattin eines italienischen Adeligen in der von Luchino Visconti inszenierten Episode von Boccaccio 70, wo sie mit Unterstützung Coco Chanels den radikalen Stilwechsel von der hausbackenen, mädchenhaften Fünfzigerjahre-Mode zum französischen Chic der Sechziger bereits vollzogen hatte. Befreit von Perücken, Prunkroben und den damit verbundenen Publikumserwartungen, probierte die junge Schauspielerin, was in ihr steckte. Ihr Potenzial erkannte mit Orson Welles ein Meister des Regie-Handwerks, der sie 1962 in Le Procès besetzte, einer ästhetisch anspruchsvollen Schwarzweiss-Inszenierung des kafkaschen Romans. Ähnlich wie seine amerikanischen Kollegen Otto Preminger oder Clive Donner, die in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre mit Romy Schneider arbeiteten, gelang es ihm, ihrem Spiel neue, unbekannte Facetten zu entlocken und eine Intensität, die auf ihr grosses schauspielerisches Talent verwies.
Gebremst in ihrer Neugier auf sich selbst und ihrem Elan, mit dem sie neue Rollenfächer anging, wurde Romy Schneider in jenen Jahren nicht von Alain Delon, der einen Film nach dem anderen drehte und sich 1964 von ihr trennte, sondern von Harry Meyen, einem Schauspieler und Boulevard-Theater-Regisseur in Berlin, den sie ein Jahr später kennen lernte. Womöglich versprach der 14 Jahre ältere Mann, der im Gegensatz zu dem wilden, unberechenbaren Strassenkind Alain Delon über eine gehörige Portion Seriosität und Intellekt verfügte, ihr jene väterliche Geborgenheit, die Romy Schneider als Kind eines ignoranten, abwesenden Vaters vermisst hatte. Aber mit dem Beginn der Beziehung zu Harry Meyen zerschlugen sich die Hoffnungen, zu denen Romy Schneider durch ihren Aufbruch ins internationale Kino berechtigt war. Wie bei anderen Schauspielerinnen ihrer Generation mag auch die Umbruchsituation, in der sich das internationale Kino in den frühen 1960er-Jahren befand, dazu beigetragen haben, dass sie plötzlich keine Rollen mehr angeboten bekam, die ihrer Begabung und ihren Ansprüchen genügten.
Dass sie mit Harry Meyen als Lebensgefährten wieder auf die Bühne spekulierte, wo sie 1962 in Paris in einer Inszenierung von Visconti («Dommage qu’elle est une putain») an der Seite Alain Delons reüssiert hatte, scheint Ausdruck ihrer Orientierungslosigkeit, die Hans-Jürgen Syberberg in seiner Dokumentation Romy – Portrait eines Gesichts (1967) eingefangen hat. Mit noch nicht einmal 28 Jahren reflektiert Romy Schneider über ihre Karriere, erklärt sich in einem Moment offen für sämtliche Herausforderungen, um im nächsten über ihren Rückzug ins Familienleben nachzudenken. Schwankend zwischen Verletzlichkeit und Selbstüberschätzung zeigt sich Romy Schneider in diesem intimen Porträt, das ihre Labilität nicht bloss-, sondern lediglich feststellt. Der Mut, dessen es bedurfte, um ein neues Leben anzufangen, ist ihr offenbar abhandengekommen. Mitten im Aufbruch ist sie stecken geblieben, irgendwo auf dem Weg vom deutschen Fräuleinwunder zur französischen Diva.
Als Alain Delon fast genau zehn Jahre nachdem Romy Schneider ihn getroffen und sich Hals über Kopf in ihn verliebt und vier Jahre nachdem er sie verlassen hatte erneut bei ihr meldete, tat er das aus professionellen Gründen. Er schlug ihr vor, mit ihm als Partner La Piscine unter der Regie des auf Kriminalfilme spezialisierten Regisseurs Jacques Deray zu drehen. Delons Angebot konnte Romy Schneider nach einer Phase, in der sie geheiratet und ein Kind bekommen, sich jedoch beruflich zurückgezogen hatte, nicht ablehnen. Sie mag bewusst darauf spekuliert haben, dass in diesem Fall der Star-Status Delons ihrer eigenen Karriere wieder auf die Sprünge helfen würde. Und so etablierte sie das Rollenbild, mit dem sie zur gefeierten französischen Schauspielerin der Siebziger avancierte: In La Piscine erscheint Romy Schneider als mondäne, raffinierte, freizügige Frau auf dem Höhepunkt ihrer Schönheit. Delon und sie galten als Traumpaar der Leinwand, gerade auch weil sie es im Leben einmal gewesen waren.
Danach drehte Romy Schneider hektisch Film um Film, drei oder gar vier pro Jahr. Sie spielte sexuell offensive, verführerische Frauen, die beinahe traumwandlerisch in Liebesbeziehungen geraten, die Männer leiden lassen an ihrer Gefühlskälte oder auch umgekehrt. Ihre makellose, wohlproportionierte Rückenansicht, die, wasserbeperlt und gebräunt von der südfranzösischen Sonne, emblematisch für La Piscine steht, wurde in den Siebzigern in allen denkbaren Variationen in Szene gesetzt. Immer wieder zeichnet die Kamera Romy Schneiders Rückenlinie nach: beim, vor und nach dem Sex mit ihren Filmpartnern. Darüber hinaus existieren und kursieren Hunderte von Fotografien aus den Siebzigern mit dem gleichen Motiv in unendlichen Variationen: Romy Schneider in lasziver Trägheit, bäuchlings hingestreckt auf Betten, Liegen und Flokati-Teppichen, an Pool-Rändern, auf Booten, auf der Wiese, am Strand. Es scheint, als ob die Welt sich nicht sattsehen konnte an der makellosen Rückenansicht dieser Frau, die einst so perfekt in die Korsetts höfischer Kleiderordnungen gepasst hatte. Die mitunter gar nicht besonders subtilen Konnotationen solcher Abbildungen lassen auch auf die Missverständnisse der sogenannten Frauenbefreiung in den Siebzigern und die Misogynie – nicht nur – des französischen Films jener Jahre schliessen: Die Frau bleibt entindividualisiertes Objekt; sie hat keine Möglichkeit zu kontrollieren, was der Mann, der sich ihr von hinten nähert, mit ihr anstellen wird, um darauf angemessen reagieren zu können. Mit der Verletzlichkeit, die Romy Schneiders flächiges, auch in den Siebzigerjahren trotz allen modischen Make-ups häufig nackt wirkendes Gesicht verriet, brauchten die Männer, die ihren Rücken sahen, sich nicht auseinanderzusetzen.
Offenbar gerade weil Romy Schneider in ihren französischen Filmen auf sexuell aktive, mitunter aggressive Frauen festgelegt war, musste sie ihren männlichen Partnern und Zuschauern die Kehrseite zeigen, um ihren Offensiven die Schärfe zu nehmen und begehrenswert zu bleiben. Dazu passt, dass sie in dieser Phase ihres Filmschaffens auffällig viel Weiss – die Farbe der Unschuld und Reinheit – trägt: halb transparente, bodenlange Baumwollkaftane, hautenge Hosenanzüge, Abendroben, Minikleider und natürlich Negligees.
Als Repräsentantin einer Mischung aus Unschuld und Schamlosigkeit wurde Romy Schneider zum Star des französischen Films jener Dekade, als Begleiterin und mitunter Spielball von Männern, die mit sich selbst und miteinander beschäftigt sind und kaum wahrnehmen, mit wem sie das Bett teilen. Vielleicht auch deshalb ist Romy Schneider zur erotischen Ikone dreier Männergenerationen geworden. Und es scheint, dass sie neuerdings festgelegt war – auf ein Rollenbild, das ihr ähnlich rigide Beschränkungen auferlegte wie jenes, das sie in den Fünfzigern als niedliches Prinzesschen und volksnahe Kaiserin perfektioniert hatte. Romy Schneider muss das gespürt haben. Sie flüchtete sich in Alkohol, Tabletten und noch mehr Arbeit – und zahlte dafür letztlich mit dem Leben. Erst nach ihrem frühen Tod wurde sie zum Mythos: In ihrer Verletzlichkeit, die einen Teil ihres schauspielerischen Könnens ausmachte, erkannte vor allem ihr weibliches Publikum sich wieder. Da sie nie gelernt hatte, ihr Privatleben von der Öffentlichkeit abzuschirmen, war auch ihr persönliches Unglück Teil der mythischen Persona, die ihr Publikum generiert hatte und an der es bis heute festhält.
Daniela Sannwald