Vom braun gelockten Unschuldslamm zur blonden Ikone des Nachkriegs-Hollywood: Ihre einzigartige Karriere verdankte Marilyn Monroe nicht nur ihrem Aussehen und Talent, sondern auch perfektem Marketing. Auch heute noch wirken ihre Auftritte betörend – und ambivalent.
Madeleine Corbat
«I wanna be loved by you, just you,
And nobody else but you»
Marilyn Monroe in Some Like It Hot
Lasziv der Blick, zum Schmollmund geformte Lippen, provozierend der Gang, es pufft noch etwas Dampf durchs Bild, die umwerfende Frau erschrickt und wirft einen kurzen Blick zurück. Unschuldig und doch sehr bewusst, lässt die Ukulele-Musikerin Sugar mit ihrem perfekten Auftritt auf dem Bahnsteig Tony Curtis und Jack Lemmon das Herz schmelzen: Äusserst geschickt inszeniert ist diese erste Monroe-Szene in Billy Wilders Klassiker Some Like It Hot (1959). Etwas später wird die Musikerin «I wanna be loved by you» zum Besten geben. Ein unvergesslicher Auftritt, einer von vielen Momenten, mit denen Marilyn Monroe Filmgeschichte geschrieben hat: Erotisch, irgendwie unschuldig-naiv, immer betörend in der Wirkung – sowohl auf Männer wie Frauen.
Es ist nicht die Erotik, sondern viel mehr die Liebe, oder die Suche nach Liebe, die Norma Jeane Bakers alias Marilyn Monroes künstlerisches Schaffen und ihr tragisches Leben geprägt hat. Was klingt wie ein Klischee, war natürlich etwas komplexer, Monroe nicht immer nur Opfer. Geboren 1926 in Los Angeles, aufgewachsen im Waisenhaus und bei Pflegeeltern, die Mutter psychisch krank, der Vater unbekannt, wird sie mit 16 Jahren verheiratet, arbeitet in einer Fabrik und wird als Pin-up-Girl entdeckt. Es beginnt eine unvergleichliche Karriere – klassisch von der Tellerwäscherin zur Millionärin –, die fast 60 Jahre nach ihrem Tod noch immer zwiespältig und einzigartig ist. Millionenfach als Fotosujet verewigt, missbraucht auf billigen Souvenirtassen oder Schlüsselanhängern: Am berühmtesten und meisten kopiert ist wohl die U-Bahnschacht-Szene aus The Seven Year Itch (1955), in welcher der Wind das Kleid von Marilyn Monroe hebt, die Blondine lächelt, scheinbar spontan. Im Film selber ist die Szene so geschnitten, dass man nie den ganzen Körper sieht – das berühmte Bild hat wohl der Setfotograf geschossen oder stammt aus ungenutztem Drehmaterial.
Dennoch illustriert dieser Augenblick das, was Monroe in Hollywood sein sollte – nicht wollte – und auch war: Das perfekte Marketingprodukt einer Männerfantasie, die schillernde Fassade einer boomenden US-Filmindustrie, die in den 1940er- und 50er-Jahren zwischen düsteren Meisterwerken des Film noir und operettenhaften, latent hysterischen Hausfrauen-Komödien à la Doris Day pendelte; Monroe als Anti-Programm einerseits zum weissen Nachkriegs-Vorstadt-Traum und andererseits zu den erfolgreichen, düsteren Film-noir-Schauspielerinnen wie Veronica Lake, Lauren Bacall und Barbara Stanwyck. Oder, wie es die US-Autorin Joyce Carol Oates in ihrer hervorragenden Monroe-Romanbiografie «Blond» formuliert: «Marilyn Monroe war eine von der Produktionsgesellschaft entworfene Aufzieh-Puppe.» Eine Puppe, die vom braun gelockten Mädchen mit umwerfendem Lachen mittels Nasenkorrektur und viel Bleichmittel zur blonden Ikone modelliert wurde.
Dennoch liest sich die Liste der Regisseure, die mit Marilyn Monroe arbeiten wollten (oder zum Teil von den Studios aus Marketinggründen dazu gezwungen wurden) wie ein Who-is-who des damaligen Hollywood: Billy Wilder, John Huston, George Cukor, Joseph L. Mankiewicz, Laurence Olivier. Nach einigen kleineren Auftritten, schaffte Monroe 1953 ihren Durchbruch mit Niagara (1953), einem Film noir in Technicolor. Das Publikum war fasziniert von ihr, die Studios beeindruckt, die Kasse stimmte. Offenbar war Monroe kein Fan von Schwarzweiss Bildern ihrer selbst und glücklich über das aufkommende Technicolor-Zeitalter. Nach Niagara wählte sie vorab Rollen in Farbe, immer geschickt inszeniert, beispielsweise im ebenfalls 1953 entstandenen «Gentlemen Prefer Blondes»: Als cleveres Showgirl mit Liebe zu edlem Stein, trägt sie im Gegensatz zu ihrer Mitspielerin Jane Russell, die stets in dunklen Kleidern erscheint, fast nur Violett, in der Schlüsselszenen Orange, beim musikalischen Höhepunkt des Films, dem Lied «Diamonds Are a Girl’s Best Friend», ist sie in Rosa gekleidet. Ein perfekt verpacktes Produkt.
Allein, Monroe wollte immer als Schauspielerin ernst genommen werden, sie arbeitete hart: Ihre Partnerin Jane Russell berichtet in einem Interview über eine zweifelnde, schüchternen Frau, die jeden Abend nach Drehschluss die Szenen für den nächsten Tag mit ihrer Schauspiellehrerin übte. Überhaupt zollte Russell – im Gegensatz zu vielen anderen Schauspielkolleginnen und -kollegen – Monroe zeitlebens grossen Respekt. Sie sei kein dummes Blondchen gewesen, sondern eine engagierte, intelligente und äusserst sensible Frau, die mit vielen Unsicherheiten zu kämpfen hatte und sich bisweilen in ihrer Garderobe verschanzt habe – aus Furcht vor dem Versagen in der nächsten Szene. Andere Kolleginnen wie etwa Bette Davis, mit der Monroe All About Eve (1950) drehte, liessen kein gutes Haar an ihr. Die Legende erzählt, dass Davis sie nach einigen verlorenen Takes so hart beschimpfte, dass Monroe in die Toilette flüchtete und sich erbrach.
Marilyn Monroe hinterlässt fast 60 Jahre nach ihrem Tod und in Zeiten von #MeToo gemischte Gefühle. Nicht immer waren die schauspielerischen und gesanglichen Leistungen überzeugend, besonders zu Beginn ihrer Karriere hatte ihre Stimme bisweilen einen zu hohen, fistelnden Ton; Unsicherheiten in der Diktion sind spürbar. Dennoch bleibt ihre Präsenz eindrücklich und unvergesslich, und was die Faszination weiter leben lässt, ist eine andauernde Ambivalenz: Ihr Erscheinen auf der Leinwand wechselt zwischen unsicheren Übungen einer schüchternen Schauspielelevin und purem Sexappeal, Selbstbewusstsein, und Selbstironie. Besonders wenn Monroe singt, etwa «Diamonds Are a Girls Best Friend», spürt man eine Frau, die voller Witz und mit Augenzwinkern ihre Performance geniesst und sich stets ein wenig mokiert darüber, was gerade passiert. Doch es bleibt auch immer ein Hauch eines Mysteriums - oder wie es Regisseur Billy Wilder in einem Interview ausdrückte: «She was born with something, that was beyond directing».
Am Ende ihres Lebens war die Schauspielerin gezeichnet von gescheiterten Ehen, Abtreibungen, Fehlgeburten und von ihrer Polytoxikomanie: Tabletten und Alkohol bestimmten den Tagesablauf, Einsamkeit und die unglückliche Suche nach Liebe zerstörten ihren Lebensmut, täglich ging sie in Psychotherapie. Einer ihrer letzten öffentlichen Auftritte hatte Monroe im Mai 1962 beim legendären Geburtstagsständchen für den damaligen US-Präsidenten John F. Kennedy, mit dem ihr eine Affäre nachgesagt wurde – und der gerüchteweise immer wieder in Zusammenhang mit ihrem Tod und entsprechenden Mordthesen in Verbindung gebracht wurde. Auf den verschwommenen Bildern der Party ist ein zerbrochener Mensch zu sehen, ihre Stimme hauchdünn.
Den berührendsten und wohl reifsten Auftritt als Schauspielerin ist gleichzeitig ihr letzter in einem langen Spielfilm: In John Hustons Drama The Misfits (1962) -bezeichnenderweise nochmals in Schwarzweiss gedreht. Das Drehbuch schrieb ihr damaliger Mann, der erfolgreiche Dramatiker Arthur Miller. Die Rolle der einsamen, frisch geschiedenen Roslyn Taber ist ihr auf den Leib geschrieben, einige Dialoge, etwa jener über ihre Mutter oder über die gescheitere Liebe, lassen einen erschaudern. Miller kannte seine Frau und wollte mit der Rolle die Ehe und Monroes Karriere retten. Allein, die Ehe zerbrach endgültig, Monroe wagte sich das Drehbuch zu kritisieren, Zeitzeugen berichten von wüsten Szenen zwischen den beiden am Set. Dennoch spielt sie ihre Rolle als frisch geschiedene Roslyn mit erschütterndem, zerbrechlichem Tiefgang, es ist künstlerisch ihr grösster Triumph. Einige Monate später stirbt Monroe, Gerüchte über den möglichen Mord festigen den Mythos und die Ikone Marilyn. Dabei wollte sie wohl tatsächlich nur eines: Geliebt werden. By you. And you. And you!
Madeleine Corbat arbeitete lange als Filmjournalistin bei der Berner Zeitung, heute ist sie Produzentin bei Recycled Tv AG in Bern und Präsidentin des Vereins Cinéville, der das Kino Rex betreibt.