Unser Sommerprogramm widmen wir Alfred Hitchcock. Im Juli und August zeigen wir elf Filme des Suspense-Meisters. Den Auftakt macht Rear Window im Openair Kino, im Zentrum der Retrospektive steht Vertigo, der dieses Jahr seinen 60. Geburtstag feiert – und nichts von seiner Faszination verloren hat.
«Hitchcock, geboren am 13. August 1899 in London und gestorben am 29. April 1980 in Los Angeles, wurde in einem Jesuiten-Seminar erzogen und studierte dann Kunstwissenschaft und Ingenieurwesen. Zum Film kam er als Autor und Zeichner von Zwischentiteln. (...) Er debütierte als Regisseur 1925/26 in München mit zwei englisch-deutschen Koproduktionen. 1926 erzielte er mit The Lodger seinen ersten grossen Erfolg. In den 1930er-Jahren galt Hitchcock als einer der führenden englischen Regisseure. 1939 ging er in die USA.
Hitchcock gilt unbestritten als Meister des Suspense, einer Spannung, die nicht aus der Abfolge grober Effekte oder der Suche nach dem Täter, sondern aus intelligent dosierter Irritation des Publikums entsteht. Sein Lieblingsthema ist der Identitätsverlust. Immer wieder werden seine meist gutbürgerlichen Helden aus der Ordnung ihres alltäglichen Lebens gerissen. Sie werden in ein Verbrechen verwickelt, werden für Verbrecher oder Spione gehalten oder müssen selbst befürchten, ein Verbrechen begangen zu haben. Ihre gewohnte Umwelt zeigt sich unter der Oberfläche merkwürdig verändert; sie werden Fremde in ihrer eigenen Welt. Diese Thematik bestimmt auch den Stil der Filme. Die Kamera nimmt oft eine subjektive Position ein und zieht das Publikum in die Handlung hinein. In der Montage wird die Spannung raffiniert gesteigert und ein ständiger Schwebezustand des Argwohns geschaffen.» (Reclams Filmführer)
«Jahrzehntelang blieben Hitchcocks Filme von der Filmkritik unterbewertet, weil man sie nur als Massenunterhaltung und nicht auch als Kunst verstanden hatte. Erst Ende der 1950er-Jahre wurde der Regisseur von jungen Franzosen, die später selbst anerkannte Filmregisseure wurden, entdeckt und gewürdigt. Sie etablierten Hitchcock als Autor. Den wichtigsten Baustein dazu lieferte François Truffaut mit seinem 50-Stunden-Interview mit Hitchcock, das 1966 als Buch unter dem Titel ‹Le Cinéma selon Hitchcock› (deutsch erstmals 1973 unter dem Titel ‹Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?›) veröffentlicht wurde.» (Filmmuseum Potsdam)
«Für mich überragt Hitchcock sie alle (die Grössen Hollywoods, Anm. d. Red.), weil er der kompletteste ist. (...) Weil er alle Elemente eines Films beherrscht und in allen Stadien der Realisierung eines Films seine persönlichen Ideen durchsetzt, hat Alfred Hitchcock wirklich einen eigenen Stil. (...) Als komplett erscheint mir Hitchcocks Arbeit, weil ich darin Experimente und Entdeckungen finde, einen Sinn fürs Abstrakte wie fürs Konkrete, Sinn für Dramatik wie für Humor. Sein Werk ist kommerziell und experimentell zugleich, universell wie Ben Hur von William Wyler und privat wie Fireworks von Kenneth Anger. Ein Film wie Psycho, der Zuschauermassen in der ganzen Welt angelockt hat, ist kühner und aufsässiger als all die kleinen Avantgardefilme, die junge Künstler auf 16 Millimeter drehen und die von der Zensur verboten werden. Gewisse Szenerien von North by Northwest, bestimmte Tricks in The Birds haben die poetische Qualität des experimentellen Kinos (...). Wenn man (...) die Vorstellung akzeptiert, dass das Kino der Literatur ebenbürtig sei, so muss man Hitchcock Künstlern der Angst wie Kafka, Dostojewski und Poe zuordnen – doch warum überhaupt zuordnen? Diese Künstler der Angst bieten uns natürlich keine Lebenshilfe, zu leben erscheint ihnen schwer genug, aber ihre Mission ist es, uns an ihren Ängsten teilnehmen zu lassen. Dadurch helfen sie uns, seis vielleicht auch unbeabsichtigt, uns besser zu verstehen, ein grundlegendes Ziel eines jeden Kunstwerks.» (François Truffaut, Vorwort in «Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?»)