Bea Cuttat hat sich diesen Sommer, nach uÌber dreissig Jahren, aus dem VerleihgeschĂ€ft zuruÌckgezogen. Rund 265 Filme hat sie mit ihrem Verleih Look Now! herausgebracht, darunter viele Schweizer Produktionen. Vom TagesgeschĂ€ft hat sie sich zwar verabschiedet â trotzdem kĂ€mpft sie ĂŒbers Ende hinaus fĂŒr ihre Filme, zum Beispiel fĂŒr Danis Tanovics Death in Sarajevo, der 2016 an der Berlinale einen Silbernen BĂ€ren gewann, bisher aber in der Schweiz noch nicht in die Kinos kam. Am 9. Dezember ist Bea Cuttat Gast im REX. Der Filmjournalist Matthias Lerf diskutiert mit ihr ĂŒber ihre Film-Leidenschaft und den langen Abschied vom Filmbusiness. Im Anschluss an das GesprĂ€ch zeigen wir Death in Sarajevo.
Matthias Lerf
Ein Montagabend im April. Bea Cuttat ist nach Bern gefahren, um eine Veranstaltung im Kino REX mit Christian Petzold zu besuchen, einem jener Regisseure, deren Werk sie dem Schweizer Publikum zugĂ€nglich gemacht hatte. Petzold hat von seinem nĂ€chsten Projekt erzĂ€hlt, es heisst Undine und ist die moderne Interpretation eines Wassernixen-Mythos. Seine Begeisterung fĂŒr den Film, den er bald zu drehen beginnt, wirkt ansteckend, und zum Abschied stellt er die Frage aller Fragen: «Den wirst du in der Schweiz doch noch betreuen, oder?» Bea Cuttat lacht. Aber die Antwort ist klar: «Nein.»
Bea Cuttat hört auf. Nuestro Tiempo von Carlos Reygadas ist der letzte neue Film, fĂŒr den sie mit ihrer Firma Look Now! die Rechte auf dem Weltmarkt gekauft hat, um ihn in der Schweiz ins Kino zu bringen. Noch einmal kĂ€mpfen, schmeicheln, Ăberzeugungsarbeit leisten fĂŒr ein schwieriges Werk, das in der Flut der Neuerscheinungen unterzugehen droht. Noch einmal alles geben, wie sie das ĂŒber 30 Jahre lang getan hat. 265 Filme lancierte sie in dieser Zeit, falls die Bastelei mit Bildern aus ihrem Programm stimmt, die ihr Freunde ins BĂŒro gestellt haben (sie selber hat nicht so genau gezĂ€hlt). Die Spannweite reicht vom Schweizer Experimentalfilm ĂŒber die ersten Trickfilme mit Wallace & Gromit bis zum Lawinenfilm Turist des spĂ€teren Cannes-Gewinners Ruben Ăstlund. Jetzt ist Schluss. Ihren Verleih Look Now! wird es zwar noch geben. Aber er wird sich nur noch um die Rechte der alten Filme kĂŒmmern.
SelbstverstĂ€ndlich hat Bea Cuttat mit 67 Jahren allen Grund, kĂŒrzerzutreten. Und klar ist es keine Kurzschlusshandlung, bei aller Leidenschaft, die sie fĂŒr den Beruf immer noch aufbringt. Nein, der Abschied ist, wie alles in ihrer TĂ€tigkeit, wohlvorbereitet. Und trotzdem schwingt eine Spur von Resignation mit, wenn sie jetzt in ihrem BĂŒro im ZĂŒrcher Kreis 5 sitzt und sagt: «Seit fĂŒnf Jahren denke ich darĂŒber nach.» Wieso denn? «In letzter Zeit hatte ich immer mehr das GefĂŒhl, ich mĂŒsste mich aufdrĂ€ngen. Und zwar ĂŒberall: in den Kinos, bei den Journalisten, letztlich beim Publikum.»
Begonnen hatte alles 1988 mit Reisen ins Landesinnere. Bea Cuttat aus Schaffhausen war damals schon eine erfahrene Kinofrau, hatte beim Schweizer Filmzentrum und dem ersten unabhĂ€ngigen Verleiher Filmcoopi gearbeitet. Aber fĂŒr diesen 16-mm-Film des Dokumentaristen Matthias von Gunten gab es keine Verleihstruktur. «Das mache ich», sagte sie. Und rutschte rein, ein nĂ€chster Film folgte, ein ĂŒbernĂ€chster. Es gab grosse Erfolge wie das schwedische Teeniedrama Fucking Amal, an das niemand richtig geglaubt hatte. Es gab EnttĂ€uschungen wie den Fussballfilm Aufbauer der Nation, von dem sich alle ein GeschĂ€ft erhofften. Aber solches ist total unberechenbar, auch mit der Erfahrung von Bea Cuttat.
Look Now! â der Name ist eine Reminiszenz an den Thriller Donât Look Now â blieb bei allen Höhen und Tiefen eine Erfolgsgeschichte. Wieso sie also beenden? Ein Grund ist die Schnelllebigkeit des GeschĂ€fts, ein Film muss heute am ersten Tag einschlagen, sonst ist er weg. Auch die «Outdoorisierung» â wie Bea Cuttat es nennt â trage ihren Teil zum Malaise bei: Man stehe bei schönem Wetter lieber mit einem Bier vor dem REX, als in den Saal zu gehen. Netflix und das schwindende DVD-GeschĂ€ft kommen noch hinzu. «Wer als kleiner Verleih keinen MĂ€zen im Hintergrund hat, ist praktisch chancenlos», konstatiert Cuttat. Man könnte zwar versuchen, das GeschĂ€ftsmodell anzupassen, etwa Verleih und Produktion zu kombinieren. Aber sie hat dazu keine Lust mehr: «Mir behagt das traditionelle Kino am besten: Alle sitzen da, es wird dunkel, der Film startet.»
GekĂŒrzte Version des Textes, der am 2. Mai im «Tages-Anzeiger» erschienen ist.