Kurzfilmprogramm 1968
Schweiz/Deutschland 1967, 90', D. Regie Harun Farocki, Fredi M. Murer. Drehbuch Harun Farocki, Fredi M. Murer.
In diesen Programm zeigen wir die Kurzfilme Nicht löschbares Feuer, Ihre Zeitungen und Die Worte des Vorsitzenden von Harun Farocki sowie Swissmade 2069 von Fredi M. Murer.
Nicht löschbares Feuer
Deutschland 1969, 25 Min., Digital HD, D
Regie, Drehbuch: Harun Farocki
Mit: Harun Farocki, Eckart Kammer, Hanspeter Krüger, Caroline Gremm, Gerd Volker Bussäus, Ingrid Oppermann
1968 flog Farocki mit siebzehn weiteren Studenten wegen rebellischer Umtriebe von der Berliner Filmakademie; ein Jahr später entstand Nicht löschbares Feuer, der wichtigste Agitprop-Film der Vietnam-Bewegung.
«Ein Traktat über Napalm-Produktion, Arbeitsteilung und fremdbestimmtes Bewusstsein von brechtscher Kargheit, lehrhaft im Stil, schneidend in der Diktion: heute ein Dokument für den pädagogischen Rigorismus der 68er, aber auch für ihr Vermögen, komplizierte Zusammenhänge so zu erhellen, dass Kapieren und Agieren für viele der Generation zu einer selbstverständlichen Einheit wurden.» (Klaus Kreimeier, «Die Zeit», 3.12. 1993).
«Nicht löschbares Feuer nimmt viele Themen vorweg, die in Farockis weiterem Werk eine Rolle spielen: Technologie, Krieg, die Verstrickung von Wissenschaftlern und Ingenieuren in den militärisch-industriellen Komplex. Auch die stilisierte, sparsame Bildgestaltung, die mit einem 10mm-Objektiv aufgenommenen tiefelosen Räume, die ,unnatürlichen' Plansequenzen und die an Brecht erinnernde Schauspielerführung verweisen bereits auf jene Filme, die Farocki in den Siebziger- und frühen Achtzigerjahren machen sollte.
Doch im Zusammenhang mit seinem politischen Engagement als Filmstudent ist hier die autodestruktive Geste der wichtigste Aspekt. Mit ihr signalisiert Farocki seine Abkehr von der direkten politischen Militanz und eine Hinwendung zum künstlerisch-ästhetisch sublimierenden Filmemachen, das freilich von äusserster formaler Radikalität sein sollte. Eine so dezidierte Aussenseiterposition haben selbst in dieser für den westdeutschen Film so ausserordentlich experimentierfreudigen Zeit nur sehr wenige andere Regisseure eingenommen.» (Tilman Baumgärtel)
Ihre Zeitungen
Deutschland 1968, 17 Min., Digital HD, D
Regie, Drehbuch: Harun Farocki
«Dieser Film ist im Kontext der studentischen Kampagnen zur Enteignung des Springer-Konzerns entstanden. Was können wir tun? Lenins Frage leitet den Schlussteil ein: das Lob der kämpfenden Kollektive. Eine studentische Kommune bereitet ihre Agitationsarbeit vor. Der Bildaufbau zitiert Godards Film La Chinoise, der 1968 in die Kinos kam; der Dialog lehnt sich an Brechts Lehrstücke an. [...]
Am Ende schneiden die revolutionären Studenten Papier zurecht und wickeln darin Berliner Pflastersteine ein. Das Papier macht die Schere stumpf. Papier wickelt den Stein ein. Das Papier diktiert dem Stein die Richtung. In der Abblende ist das Klirren von Scheiben zu hören. Ende des Films. Papier Schere Stein: Dieses Bild lässt sich fortspinnen.
Eine Triade voller Aporien, in der das eine Ding das andere widerlegt, bis es vom dritten in den Schwanz gebissen wird. Jedes Ding wird von einem anderen dementiert und kann doch überleben. Das kämpfende Kollektiv ist eine ungeheure Produktionskraft, sagt Farocki in Ihre Zeitungen. Aber in der schönsten und witzigsten Szene des Films inszeniert er sich doch lieber selbst als sportlich trainierten Einzelkämpfer in eng anliegender Ledermontur.» (Klaus Kreimeier)
Die Worte des Vorsitzenden
Deutschland 1967, 3 Min., Digital HD, D
Regie: Harun Farocki
Drehbuch: Harun Farock, nach einem Text von Lin PIao
Der Film wurde auf den Teach-ins im Audimax der Freien Universität teils mit donnerndem Applaus, teils mit ohrenbetäubenden Pfeifkonzerten überschüttet. Er provoziert unmittelbare, spontane Reaktionen; erst mit dem Fortgang der Linienkämpfe und der ideologischen Verhärtungen breitete sich das Schweigen, die eisige Ablehnung aus. Farocki war 1967/68 ein Dadaist des Maoismus. Zum Hintergrund seines Films gehört der Godard-Kult in der ersten Studentengeneration der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin, gehören die 'chinesischen' Godard-Filme von 1967/68 (von La Chinoisebis Le gai savoir).» (Klaus Kreimeier)
Swissmade 2069
Schweiz 1969, 38 Min., 35mm, D
Regie, Drehbuch: Fredi M. Murer
Mit: Thomas Held, HR Giger, Fredi Murer
Thema von Fredi M.Murers Beitrag zum Episodenfilm Swissmade ist «Die Schweiz nach uns». Murers Episode spielt sich im Jahr 2069 ab. Ein «integrierter Staatsbürger mit latenter Neigung zum unintegrierten Staatsbürger» erhält vom «Brain-Center» den Auftrag, über die unbekannte Mission eines fremden Wesens einen Filmreport herzustellen. Das fremde Wesen ist ein von H. R. Giger entworfener Extraterrestrischer mit eingebauter Kamera und Tonband, der im Jahr 2069 zwecks Erkundung aktueller Zustände über die Erde zieht. Der Filmreporter ist Murer selbst. Ziel der Mission ist die Überwachung von ein paar Unangepassten, die am Rande des durchorganisierten Überwachungsstaates die Anarchie probieren. Murers erster auf 35mm gedrehter Film ist eine Big-Brother-Vision, die sich durchaus auch als Warnung interpretieren lässt.
«Die Darsteller, sowohl die totaldemokratischen ,integrierten Staatsbürger’ wie auch die ,unintegrierbaren Individuen’, die in ihren geschützten Reservaten leben, waren im realen Leben ohne Ausnahme authentische 68er-Aktivisten, von denen einige später politische oder künstlerische Kariere gemacht haben, z.B. Thomas Held, HR Giger, etc. etc., und einige ,Unintegrierbare’ waren auch im richtigen Leben Borderliner... So gesehen war für mich die Form des Science-Fiction-Films nur ein Vehikel, um real und latent vorhandene Tendenzen der 60er-Jahre überhöht darzustellen.» (Fredi M. Murer)