Die Berner Tageszeitung «Der Bund» widmet den 11. Essay-Wettbewerb dem gesellschaftspolitischen Dauerbrenner Schule. Aus diesem Anlass zeigt das Kino REX von Oktober bis Dezember einen Zyklus zum Thema «Schule im Film». Auf dem Programm stehen Spiel- und Dokumentarfilme aus über 60 Jahren Filmgeschichte, von Jean Vigos Zéro de conduite über den Internatsklassiker If... bis zu aktuellen Produktionen wie Neuland.
Seit es Schulen gibt, ist es selten um Bildung gegangen. Natürlich gab es immer Pädagoginnen und Pädagogen, denen es um Bildung ging, aber sie haben in der Geschichte der Schule kaum eine Hauptrolle gespielt. Mit dem hehren Bildungsideal der Persönlichkeitsentfaltung können Staaten bis heute wenig anfangen. Mittelmass und Normierung sind gefragt, auf dass die künftigen Bürgerinnen und Bürger später an ihrem Platz in der Gesellschaft möglichst reibungslos funktionieren.
Der Schweizer Pädagoge und Buchautor Jürg Jegge («Dummheit ist lernbar») spricht von einer «Kindersortieranstalt». Die Schule erfülle ihre Aufgabe, indem sie rechtzeitig Kinder einteile und zur Zufriedenheit der Elite für entsprechende Bildungsunterschiede sorge. Die Schule als System der sozialen Auslese stempelt zu viele als Verlierer ab. Der Staat will junge Menschen, die er in verschiedenen Funktionen gebrauchen kann. Aber heute leben wir in Zeiten gewaltiger Umbrüche, vergleichbar mit der ersten industriellen Revolution. Die digitale Transformation unserer Gesellschaft bedarf der Menschen, die unser aktuelles Schulsystem nicht hervorzubringen imstande ist.
Momentan läuft die Debatte um die richtige (Volks-)Schule wieder hochtourig. Stichwort: Lehrplan 21. Man streitet etwa darum, ob ein neues Französischlehrmittel praxistauglich ist oder ob Eigenschaften wie Pünktlichkeit bei Schülerinnen und Schüler auch künftig bewertet werden sollen.
Das ist das Problem: Wir haben ein Schulsystem, das aus dem 19.Jahrhundert stammt, die Erwachsenen sind aus dem 20.Jahrhundert, die Kinder aber wurden im 21. Jahrhundert geboren – da passt doch etwas nicht zusammen.
Eigentlich wissen wir längst, wie man gute Schule machen kann: integrative Gesamtschulen müssen es sein mit fächer- und jahrgangsübergreifendem Unterricht ohne Noten und Sitzenbleiben. Es ist eine Schule, die nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängig ist. Es ist eine Schule, in der individuelle Betreuung gross geschrieben wird, damit die Starken sich nicht langweilen und die Schwachen nicht abgehängt werden. Es ist eine Schule, in der Kinder und Jugendliche auch Verantwortung für ihre eigene Bildung übernehmen.
Es braucht mehr als Reformstückwerk. Braucht es eine Revolution? Wenn ja: Wie kann diese Revolution gelingen? Ohne ein Bündnis mit der Wirtschaft wird es kaum gehen, wie ein Blick in die 1960er-Jahre zeigt, wo viele bildungspolitische Pflöcke erfolgreich eingeschlagen wurden - vom zweiten Bildungsweg bis zur Berufsmaturität.
Diskussionen und Debatten über eine zeitgemässe und kindgerechte Schule bewegen sich oft auf vermintem Gelände. Der «Bund»-Essay-Wettbewerb ruft jedoch ausdrücklich dazu auf, dieses Gelände furchtlos zu betreten und die Utopie zu denken: Stell Dir vor, es ist Schule, und alle gehen hin!
Das Kino REX begleitet den 11. «Bund»-Essay-Wettbewerb von Oktober bis Dezember mit einer Filmreihe. Die Dokumentar- und Spielfilme aus über 60 Jahren Filmgeschichte decken unterschiedliche Positionen und Themenfelder ab: Von Internatsfilmen und Dokumenten alternativer Schulformen über die Kritik des aktuellen Schulsystems bis zu Filmen, die auf Lehrer-Schüler-Beziehungen fokussieren.
Zum Auftakt findet am 19. Oktober um 18.15 ein Podium mit der diesjährigen Jury des Essay-Wettbewerbs statt. «Bund»-Chefredaktor Patrick Feuz diskutiert mit der Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm, die das Forschungsinstitut Swiss Education in Bern leitet, sowie dem Pädagogen und Lehrplan 21-Kritiker Alain Pichard. Dazu steht Jean Vigos Klassiker Zéro de conduite aus dem Jahr 1933 auf dem Programm. Der 44-minütige Film zeigt mit einer teils surrealistischen Bildsprache den Aufstand von Schülern gegen Langeweile und Bevormundung in einem Internat. Ein autoritäres System aus Drill, Bestrafungen und Hierarchien dient einzig dazu, den Willen der Zöglinge zu brechen, um sie später umso reibungsloser einpassen zu können als «Stützen der Gesellschaft». Diese Schule gehört der Vergangenheit an, die Schule der Zukunft aber muss noch gestaltet werden.
Alexander Sury
Der Autor ist „Bund“-Kulturredaktor und Verantwortlicher für den Essay-Wettbewerb
Informationen zum Wettbewerb finden Sie hier.: www.essay.derbund.ch