Miloš Forman (1932-2018) und Jiří Menzel (*1938) zählen zu den wichtigsten Exponenten der tschechoslowakischen Neuen Welle. Während Forman nach dem Einmarsch der Sowjets das Land verliess und in die USA emigrierte, blieb Menzel in seiner Heimat und versuchte trotz politischer Zensur seine Arbeit fortzusetzen. Das Frühwerk von Forman und die wichtigsten Filme von Menzel liegen restauriert und zum Teil neu untertitelt vor. Das gibt die Gelegenheit zum Wiedersehen oder Entdecken einer Reihe unvergleichlicher Tragikomödien. Nicht verpassen: Am Montag, 17. Dezember, 18.30 stellt Emil Steinberger Jiří Menzels Kleinstadt-Komödie Kurzgeschnitten im REX vor!
Ein Lächeln greift niemanden an. Es ist leise, horcht ins Innere. Der Erheiterte muntert damit zugleich sein Gegenüber auf und ermutigt zum friedlichen Miteinander: Wer lächelt, muss nicht gleich Zähne zeigen.
Das Etikett des lächelnden Humanisten, das man Jiří Menzel früh anheftete, beschreibt diesen Filmemacher noch immer trefflich. Das bedeutet übrigens nicht, dass seine Komödien unterhalb der Lachschwelle lägen. Sie sind mehr als nur Schmunzelfilme, auf ihre Komik darf auch lauthals reagiert werden. Zugleich spricht aus ihnen ein Einverständnis mit dem Leben, bei dem sich Heiterkeit und Wehmut die Waage halten. Sie sind nicht versöhnlich. Vielmehr bleiben Widrigkeiten und Konflikte bestehen. Der Regisseur lädt sein Publikum ein, ihnen mit skeptischem Humor zu begegnen. Man sollte dieses Lächeln also nicht unterschätzen. Es kann wehrhaft und abgründig sein. Bei Menzel ist mit allem zu rechnen, der Zuschauer muss gefasst sein auf die Wechselfälle des Lebens. Das lehrt ihn bereits Scharf beobachtete Züge, mit dem Menzel 1966 seinen Durchbruch erlebt. Darin verzweifelt der junge Milos so sehr an seiner Sehnsucht nach Liebe und Sex, dass er einen Selbstmordversuch begeht – und das Glück, das er am Ende findet, mündet in einem heroischen Opfer.
Mit der tschechoslowakischen Neuen Welle tritt in den 1960er-Jahren eine ganz eigenwillige Spielart der Tragikomik ins Weltkino ein. Jiří Menzel, Miloš Forman, Vera Chytlilová, Jan Němec, Ivan Passer und andere verstehen sich darauf, behände Tonfall und Register zu wechseln. Leichtfüssig spielen ihre Komödien ins Dramatische hinüber. Mit Menzel und Forman stellt die Filmreihe zwei Protagonisten dieser Bewegung vor, denen es gelingt, das Alltägliche im Kino in etwas Ausserordentliches verwandeln.
«Zuschauen ist doch keine Arbeit!», spottet anfangs der Vater über Peter, der als Lehrling in einem Selbstbedienungsladen die Kunden beobachten und Diebstähle melden soll. Der schüchterne Sohn widerspricht nicht. Aber sein Regisseur weiss es besser. In seinen ersten Filmen, schreibt Miloš Forman in seinen Memoiren, ging es darum, einen klaren Blick zu entwickeln. Der Beruf seines Helden gestattet ihm Seitenhiebe auf ein Klima allgegenwärtiger Überwachung. Ohnehin ist die Schaulust der Grundimpuls seines Spielfilmdebüts Der schwarze Peter. Etwas anderes steht dem orientierungslosen Peter noch nicht zu Gebot. In der Umkleidekabine bewundert der 17-Jährige die Beine der hübschen Pavla (mehr Aussicht lässt das Astloch nicht zu); die Komplimente über ihren Bikini verfangen nicht. Als Verehrer stellt er sich so ungeschickt an wie als Ladendetektiv. Er ist ein Seelenverwandter von Menzels Lehrling Milos, der während der deutschen Besatzung zum Bahnhofsvorsteher ausgebildet wird.
Der Grosse Preis für Der schwarze Peter 1964 in Locarno war der Auftakt zu Formans internationaler Karriere. Seine anarchische, sacht mit Slapstick angereicherte Sittenstudie aus der Provinz hat dem Spülsteinrealismus des britischen Free Cinema so viel zu verdanken wie der Verspieltheit der Nouvelle Vague. (Eigentlich ist sein früher, noch dokumentarischer Wettbewerb bereits eine Musikkomödie.) Fortan ertappt die Kamera in seinen Filmen das Leben dabei, wie es sich gerade zuträgt. Sie folgt der Wachsamkeit des Dokumentarfilmers und entdeckt schon die Neugier des Satirikers. Lange Brennweiten überwinden Hindernisse und Distanzen, um das Kolorit des engen Milieus einzufangen. Die Montage assoziiert in Der schwarze Peter munter, wie die Zeit in diesem Sommer arglos vergeht und die Illusionen der Jugend sanft verfliegen. Der Versuchung, eine Geschichte zu erzählen, erliegt Forman erst in seinem nächsten Film Die Liebe einer Blondine (1965). Nach wie vor versammelt er Alltagsbeobachtungen, nun aber zielstrebiger. Sein Blick für bezeichnende gestische Details ist wunderbar. Die Wirklichkeit birgt sanft poetisches Potenzial (man denke nur an den Baum, der mit einer Krawatte geschmückt ist); das ländliche Tanzvergnügen, das zum Heiratsmarkt für ein Militärbataillon in einer Gegend mit Frauenüberschuss werden soll, mündet in eine Kaskade köstlich düpierter Erwartungen: Die Dorfschönheiten müssen feststellen, dass es sich um Reservisten handelt («Direkt aus dem Altersheim!») und die linkischen Charmeure in Uniform hätten sich eine prächtigere Fleischbeschau gewünscht. Man versteht nur zu gut, weshalb Formans Titelheldin später die «Abstimmung fürs sittsame Leben» schwänzt und lieber aus der Provinz nach Prag flüchtet.
Diese Hoffnung steht dem Figurenensemble aus Der Feuerwehrball nicht offen. Hier gibt es kein Entkommen aus dem in Konventionen und Heuchelei erstarrten Milieu. Eingangs werden die Feuerwehrleute selbst zu Brandstiftern, und den Hof des greisen Bauern können sie am Ende auch nicht vor den Flammen retten. Der Ertrag der Tombola, den sie dem armen Mann aus Nächstenliebe (das Wort «Solidarität» fällt dem Festredner partout nicht ein) überlassen wollen, bleibt ein leeres Versprechen, denn der Gabentisch ist längst geplündert worden. Forman seziert die Doppelmoral der Gegenwartsgesellschaft mit so scharfem Instrument, dass der Alltag zu heillosem Chaos eskaliert. Nach diesem furios anarchischen Sittengemälde wird es höchste Zeit für den Regisseur, dem Ruf von Hollywood zu folgen.
Die satirische Nonchalance Menzels bedient sich in dieser Zeit ganz ähnlicher Stilmittel, wie sie Forman einsetzt. Beide haben ein Faible dafür, die Vorspanne ihrer Filme mit Fotografien zu drapieren, die eine vermeintlich heldenhafte Vergangenheit beschwören sollen, und dazu scheppernde Marschmusik erklingen zu lassen. Zugleich gewinnt die Satire bei ihnen eine erstaunliche Sinnenfreude: Ihre Filme sind verschmitzte Rhapsodien der begehrlichen, anzüglichen Blicke.
Das Genre der Komödie scheint Menzel und Forman in der Mitte der 60er noch als eine sichere Tarnung ihrer gesellschaftskritischen Absichten. Nach dem Ende des Prager Frühlings jedoch nimmt die Zensur sie ernst. Forman wird von einer Haftstrafe bedroht. Auch Menzel könnte ihm ins amerikanische Exil folgen, denn nach dem luftigen Ein launischer Sommer bietet ihm Universal 1968 einen Zweijahresvertrag an. Statt dessen dreht er Lerchen am Faden nach einer Vorlage seines Lieblingsautors Bohumil Hrabal, eine Moritat früher ideologischer Entzauberung: Durch die Arbeit auf einem Schrottplatz sollen Dissidenten, mit denen wahrlich kein kommunistischer Staat zu machen ist (Philosophen, Saxophonspieler, Buchhändler und dergleichen mehr), zu Beginn der 50er-Jahre umerzogen werden. Dieses trotz seines Schauplatzes lyrische Meisterstück der Subversion bringt ihm ein mehrjähriges Arbeitsverbot ein.
Die Filme, die er danach dreht, sind Zeugnisse einer schelmischen inneren Emigration. Das einsame Haus am Waldesrand beschreibt eine Fluchtbewegung: Ein Familienvater aus Prag wünscht sich ein Refugium auf dem Land (die Kinder sind begeistert, die Ehefrau hingegen ist Realistin) und wird dort mit falscher Folklore und echtem Starrsinn konfrontiert. Der Romantiker findet sich in einer heiter-rustikalen, durchaus doppelbödigen Idylle wieder (und der Scherz über die Langsamkeit des Trabant wird im sozialistischen Bruderstaat DDR gewiss nicht auf Begeisterung gestossen sein). Indes zielt Menzels Humor auf Unverfänglichkeit; er tritt sacht das Erbe Jacques Tatis an, des liebenswürdigen Verwerters des Menschlichen.
In Die wunderbaren Männer mit der Kurbel wiederum vollzieht er eine Flucht in die Nostalgie: Er erweist den Pionieren des tschechoslowakischen Filmgeschäfts seine Reverenz. Vergnügt feiert er die Unternehmungslust seiner Helden. Ein Zauberer, der seine Auftritte mit Filmvorführungen veredelt, träumt von einem festinstallierten Kino in Prag, für das der rundliche Schwerenöter sogar die Fährnisse einer Eheschliessung in Kauf nehmen würde. Er verbündet sich mit einem Kameramann (gespielt vom Regisseur selbst), der einen eigenen Filmstil entwickeln will. Wiederum gerät Menzel sein Stoff zu einem Fest der Sinnenfreude, das zugleich eine ungemein detailreiche, zugeneigte Archäologie seiner eigenen Kunst ist.
Gerhard Midding