Retrospektive Robert Altman
27.02. – 02.04.2025
Kein Regisseur beschrieb die Gewalt, die Tragik, die Farce und die naive Hoffnung der USA so kompromisslos wie Robert Altman. Das facettenreiche Œuvre des vor 100 Jahren geborenen und 2006 verstorbenen Filmemachers ist die definitive Bestandsaufnahme seines Landes. Wir zeigen 13 Filme aus vier Dekaden, von M*A*S*H und The Long Goodbye über Nashville und Short Cuts bis zu seinem letzten Film The Last Show.
Andreas Busche
Rot, weiss und blau sind die Signalfarben in den Filmen von Robert Altman. Aber wenn die amerikanische Flagge weht, stellt sich kein patriotisches Hochgefühl ein. In Nashville (1975) hängt nach fast drei Stunden eine überdimensionale Fahne über dem Parthenon der Country-Hochburg, wo ein obskurer Präsidentschaftskandidat gerade einem Attentäter entkommen ist. Aber die Ordnung ist schnell wiederhergestellt, the show must go on. Die nächste Country-Nummer «It Don't Worry Me» verkündet schon wieder routinierten Optimismus, und am Ende bilden die Stars and Stripes das Firmament über diesem Wimmelbild. Der rot-weiss-blaue Pomp wirkt bereits im Augenblick seiner Inszenierung lächerlich. Sarkastischer kann ein Porträt der USA zum 200. Jahrestag der Unabhängigkeit kaum enden.
Am Anfang des Westerns Buffalo Bill and the Indians, der den falschen Gründermythos Amerikas aus der Perspektive eines problematischen Helden fortschreibt, weht die Fahne erneut. Im Werk von Altman bilden die Schlusseinstellung von Nashville und die Eröffnungssequenz von Buffalo Bill and the Indians, die 1975 und 1976 unmittelbar nacheinander entstanden, ein Kontinuum. Das Amalgam aus Politik und Showbiz, Kapitalismus und Gewalt hat in Altmans Filmen der 1970er-Jahre den amerikanischen Mythos ersetzt. Zur Mitte der Dekade stand New Hollywood unter dem Eindruck von Watergate und dem Vietnam-Debakel, die Zweihundertjahrfeier fiel ausgerechnet in die grösste Krise der Demokratie.
Altmans Vertrauen in die Institutionen, nicht nur die politischen, war da bereits nachhaltig erschüttert. Auch in seiner scharfen Hollywood-Satire The Player, mit der er 1992, eine Dekade nach seiner Verbannung aus der Traumfabrik, seine Rückkehr feierte, ist diese Skepsis noch spürbar. Dem Typus des ehrgeizigen, skrupellosen Produzenten (Tim Robbins), der seinen Regisseuren und Autoren jede kreative Idee austreibt, muss Altman oft genug selbst begegnet sein. Doch dass sein Renommee als Auteur nicht gelitten hatte, zeigte schon die eindrucksvolle Liste von gut zwei Dutzend Cameo-Auftritten – darunter Bruce Willis, Julia Roberts, Cher, die er Anfang der 1980er-Jahre für die Theaterbühne entdeckt hatte, und Harry Belafonte. Altman empfand bei seinem Comeback sichtlich Genugtuung, das moralisch ambivalente Happy-end von The Player war in jeder Hinsicht ein «Fuck You!» in Richtung Hollywood.
Die Unterhaltungsindustrie mit ihren Show-Effekten und nationale Mythen sind Fixpunkte in Altmans Amerika-Bild. Konkrete Politik wird in seinen Filmen meist nachrangig behandelt – Ausnahme ist die brillante Mockumentary Tanner 88 über den Vorwahlkampf der Demokraten 1988. Darum stirbt in Nashville auch nicht der Populist Hal Phillip Walker, dessen Gaga-Wahlversprechen durch den Film plärren – sondern Nashville-Darling Barbara Jean. Altmans Kino ist nicht links im Sinne einer abgesteckten Weltanschauung, sondern qua seiner kaleidoskopischen Perspektive auf Amerika. Im diegetischen Sounddesign seiner Filme – Schichten von Dialogfetzen, akustische Räume ohne Zentrum – steckt bereits der Ansatz einer Diagnose. Die Orientierungslosigkeit wird bei Altman zum Programm, das Zentralnarrativ gerät zunehmend von der Peripherie aus in Bedrängnis, die Kakophonie der neuen Zeitrechnung verstärkt die kollektiven Neurosen. Doch selbst im liberalen New Hollywood, das die Filmindustrie in den späten 1960er-Jahren erneuerte und den amerikanischen Chauvinismus als Selbsttäuschung entlarvte, bugsierte er sich mit seiner kompromisslosen Haltung ins Abseits.
1970 markiert das Jahr, in dem Altman den Ruf des «Auftragsfilmers» in der Branche (mit Fernsehserien wie Alfred Hitchcock Presents und Bonanza; im Studiosystem mit That Cold Day in the Park) ablegte; künstlerische Unabhängigkeit verschaffte ihm seine neu gegründete Produktionsfirma Lion’s Gate Films. Mit der Militärklamotte M*A*S*H begann ein sagenhafter Lauf von Klassikern wie McCabe & Mrs. Miller (1971), The Long Goodbye (1973), California Split (1974), 3 Women (1977) und natürlich der hypertrophen Satire Nashville, dem definitiven New-Hollywood-Film. Mitte der Dekade hatte er sich den Ruf eines amerikanischen Filmemachers par excellence verdient, der das Versprechen des land of the free und des pursuit of happiness immer wieder konterkarierte.
Am schönsten vielleicht – auch weil sein undurchdringlichstes, fast erratisches Meisterwerk von der Kritik lange missverstanden wurde – in der kongenialen Marlowe-Interpretation The Long Goodbye. Elliot Goulds Philip Marlowe schlafwandelt durch ein Post-Hippie-Los-Angeles, in dem die Chandler-Figur völlig fehl am Platz wirkt. Sein loses Mundwerk kann gegen die Gewalt, in die er hineinstolpert, nichts mehr ausrichten, das hardboiled Voiceover des Film noir ist nur noch ein vor sich hin gemurmelter innerer Monolog. Altman sagte damals, dieser Marlowe habe zwanzig Jahre im Tiefschlaf verbracht und verstünde nun die Welt nicht mehr. Sein Interesse an diesem uramerikanischen Genre hatte auch viel damit zu tun, dass der klassische Film noir die moralische Verunsicherung der Nachkriegsgesellschaft sichtbar gemacht hatte. Wie zum Hohn zieren Goulds Krawatte im Film wieder die Stars and Stripes – ein schönes Detail, das in der Lichtbestimmung von Kameramann Vilmos Zsigmond leider verloren ging. Altman und sein Star schenkten New Hollywood mit The Long Goodbye auch das pessimistischste Ende. Ihr Marlowe taugte nicht mal mehr zum Antihelden.
Ein weiterer Anti-Archetyp im Altman-Panoptikum ist der von Warren Beatty gespielte Pokerspieler McCabe im Spätwestern McCabe & Mrs. Miller. Um Arbeiter in das Minenstädtchen Presbyterian Church zu locken, lässt er sich auf einen Deal mit einer streitbaren Madame (Julie Christie) ein, die das örtliche Bordell in eine respektable Goldgrube verwandelt. Prostitution und Kapital erweisen sich als konstitutiv für den Pioniergeist, doch die Macht der Konzerne reicht bis in die entlegensten Regionen der frontier. McCabes amerikanischer Traum, melancholisch untermalt mit Leonard Cohens bittersüssen Balladen, stirbt mit ihm im Schnee.
Altman hatte die Rolle des Seismografen nationaler Befindlichkeiten früh angenommen. In der Vietnam-Parabel M*A*S*H erspart er dem Publikum nicht die blutigen Konsequenzen des Krieges, auch wenn kein Schuss fällt: Seine Protagonisten Hawkeye (Donald Sutherland) und Trapper (Elliott Gould) müssen im Feldlazarett die verletzten Soldaten wieder zusammenflicken. Bei Altman, der selbst als Bomberpilot in Südostasien stationiert war, wird der Krieg zum integralen Aspekt der amerikanischen Identität. Ihre schlechtesten Eigenschaften – religiöser Fanatismus, das Männerbündische, Autoritätshörigkeit – kommen erst auf dem Schlachtfeld richtig zur Geltung. Mit ihren anarchischen Pranks gegen den Kriegsapparat strapazieren Hawkeye und Trapper die fragilen Sollbruchlinien dieses Konstrukts.
Es ist kein Zufall, dass Altmans grosse Zeit mit der Hochphase von New Hollywood zusammenfällt: eine Dekade, in der fundamentale Gewissheiten im amerikanischen Selbstverständnis erodierten. Altman wollte zwischen der Gewalt, der Tragik, der Farce und der naiven Hoffnung des gewaltigen Projekts Amerika keinen Unterschied erkennen. Seine Figuren, allesamt verlorene Gestalten, sind dazu verdammt, an ihren Träumen zugrunde zu gehen; oder sie machen sich dabei lächerlich. Shelley Duvall spielt hierbei eine zentrale Rolle. Ihre sieben gemeinsamen Filme – die Zusammenarbeit endete 1980 mit dem Flop Popeye – bilden ein eigenständiges Œuvre im US-Kino der Siebziger.
In Thieves Like Us (1974) spielt sie an der Seite von Keith Carradines Bankräuber Bowie die nur auf den ersten Blick naive Keechie, die sich in den gesellschaftlichen Umbrüchen der Wirtschaftskrise eine unerschütterliche Autonomie erkämpft. Altman gelingt mit seiner Gangsterballade ein detailreiches Sozialpanorama des amerikanischen Südens, das mehr mit den Fotografien Walker Evans zu tun hat als mit Arthur Penns Bonnie & Clyde (1967). Wieder ist die Gewalt unausweichlich. Keechies Emanzipationsgeschichte endet mit einer Kassandra-Warnung des fanatischen Predigers Fr. Charles Coughlin: «You have asked for the New Deal. You have what you asked for. You have paid the price, democratic America.»
Dass Shelley Duvall sich wie ein freies Radikal in Altmans Kino der Siebzigerjahre bewegte, zeigt sich insbesondere in 3 Women, einem flirrenden Fiebertraum in der kalifornischen Wüste. Eine irritierend flatterhafte Duvall spielt darin eine Pflegerin, die den Insignien der amerikanischen Kultur (Mode, Stars, Waffen) verfallen ist – und so die Neugier einer schüchternen jungen Kollegin (Sissy Spacek) weckt. Die beiden Frauen sind nicht die naheliegendsten Kandidatinnen für das Matriarchat, das in der Schlusseinstellung eine etwas andere amerikanische Utopie in Aussicht stellt.
Der schönste und definitiv seltsamste Film in Altmans idiosynkratischem Werk lebt von seiner fast kammerspielartigen Atmosphäre. Er stellt damit auch den grösstmöglichen Gegensatz zu seinen Ensemblefilmen dar, mit denen Altman in den 1990er-Jahren ein Comeback erlebte. Im Ensemblefilm fand er das perfekte Dispositiv für seine mäandernden Sittenbilder: als persönliche Abrechnung (The Player), in der sehr britischen Form einer Murder Mystery (Gosford Park) und im historischen Gangsterfilm. Mit Kansas City (1996), in dem Harry Belafonte einen Unterweltboss und Jazzclub-Besitzer spielt, kehrte Altman nochmals zu seinen maliziösen Amerika-Porträts zurück: Im Kansas City der 1930er-Jahre blühen der Jazz, die Gier – und der Rassismus.
In seinem letzten Meisterwerk Short Cuts, basierend auf Kurzgeschichten des Lakonikers Raymond Carver, öffnet sich die lose Struktur des Ensemblefilms in ein weites Feld atmosphärischer Störungen – angesiedelt im suburbanen Los Angeles (an der Peripherie der Traumfabrik), fragmentiert in neun dysfunktionale Beziehungen. Die von einer Insektenplage befallene Stadt ist das Leitmotiv von Short Cuts: In der Eröffnungsszene versprühen Helikopter (ein Vietnam-Innuendo) Chemikalien gegen die mediterrane Fruchtfliege. Das soziale Gewebe steht unter Spannung, eine Kettensäge zerlegt das Inventar kleinbürgerlicher Träume, die Familie – als Monade kapitalistischer Ideologie – hat ihre Bindekräfte verloren.
Vielleicht lässt sich diese wechselhafte Karriere am besten so zusammenfassen: Robert Altman konnte von der Filmindustrie erst wieder akzeptiert werden, als die Krise nach zwölf Jahren unter Ronald Reagan und George Bush zum Normalzustand geworden war.