Felix Tissi hat mit Welcome to Iceland einen neuen Spielfilm realisiert, den wir ab 5. Mai zeigen. Der Filmstart bietet uns die Gelegenheit, dem Berner Filmemacher eine Retrospektive mit vier seiner früheren Filme zu widmen. Dieter Fahrer und Res Balzli griffen aus diesem Anlass in die Tasten und würdigen in einem gemeinsamen Text das Schaffen ihres Mitstreiters und Freundes.
Gesendet: Montag, 07. März 2016 um 16:10 Uhr
Von: «Dieter Fahrer» <balzli-fahrer@gmx.net>
An: «Res Balzli» <resbalzli@hotmail.com>
Betreff: Text fürs Rex
Lieber Res
Zur Tissi-Retrospektive hätte das Kino Rex gerne einen «durchaus auch persönlichen» Text über Felix und seine Filme. Soll ich? Oder willst Du? 3000 bis 5000 Zeichen ist die Vorgabe – also etwa zwei Zeichen pro Woche gemeinsamer Geschichte, das wird eng!
Dieter
Ein Text fürs Rex über Felix? Da fällt mir mehr ein als die Vorgabe, spontan sogleich ein Titel:
DER UNBEUGSAME
Von ihm habe ich so viel gelernt in all der Zeit, die wir uns kennen, nicht nur, was Film angeht – schreiben, drehen, schneiden – sondern vor allem eines: Haltung einnehmen und bewahren. Und das ist gar nicht so einfach im Sturm der Anforderungen, dem ein Filmschaffender ausgesetzt ist. Doch woher auch der Wind wehte: Felix hat stets seine Überzeugungen verteidigt. Das weisst auch Du, und so kannst gerne Du diesen Text schreiben. Oder zusammen?
Zusammen schreiben, das finde ich gut, und es passt auch zu unserer Geschichte. Denn ging es all die Jahre nicht immer, und vor allem, um ein gemeinsames Erkunden, Erleben, Erschaffen? Ich erinnere mich noch gut, wie Du mit Felix 1984 zu Besuch kamst, und ich dann als Beleuchter bei Felix’ erstem Kinospielfilm Noah und der Cowboy mitarbeiten durfte. Hochmotiviert waren wir alle: Du hattest gerade die Filmproduktion Balzli & Cie, Nidau gegründet, Felix und ich wurden Compagnons in Deiner Bude, und mit nur 230’000 Franken haben wir mit Felix sein erstes Werk in klassischer Cinéma-Copain-Manier aus der Taufe gehoben und 1985 einen schönen Erfolg gefeiert: «Ein kleiner, leiser Schwarzweiss-Spielfilm aus der Berner Szene wurde am 38. Internationalen Filmfestival von Locarno inmitten knallbunter, lärmender Werke zu einem der Publikumslieblinge: Noah & der Cowboy von Felix Tissi.» (BZ)
So locker und leichtfüssig ging es dann allerdings nicht weiter, denn Felix hat sich vor allem für die Brüchigkeit seiner Charaktere interessiert, für spröde Inszenierungen, für Tiefsinnigkeit und leise Ironie. Ein Publikumsliebling wollte er nie sein, ist unbeugsam geblieben, und hat sich angesichts der Übermacht aus Hollywood und ihrem süffigen Ausverkauf der Gefühle als randständiger Beobachter positioniert. Keine einfache Position, denn geliebt sein wollen wir doch alle, oder nicht?
Ich glaube nicht, dass Geliebtwerden für Felix im Zentrum steht, wenn es um sein Schaffen geht, sonst hätte er längst Konzessionen an den vermeintlichen Geschmack des grossen Publikums gemacht oder sich bei den wechselnden Fernsehredaktoren angebiedert.
Wenn du schon mit Hollywood kommst: Auf seinem Mist ist der Satz gewachsen: «Wir machen die besseren Schweizer Filme als Hollywood.» Er zeigt zweierlei: Felix’ Talent, etwas mit Worten auf den Punkt zu bringen, aber auch seine Eigenständigkeit. Der Satz war die Überschrift eines langen Pamphlets, das wir 1994 an den Assisen von Locarno deponiert haben, um uns gegen die Einführung von Succès Cinéma zu wehren (Olivier Moeschler und Claudine Kallenberger beschrieben in ihrem Buch «Der Schweizer Film» den Anlass als «Putsch der Produzenten: die unerwartete staatliche Fokussierung auf den Publikumserfolg»).
Noch heute leuchtet weder ihm noch uns ein, wieso die Erfolgreichen belohnt werden sollen. Das widerspricht dem Subventionsgedanken und erst recht Felix’ Weltanschauung. Er profitiert ja auch bis heute kaum von dieser automatischen Förderung und geht trotzdem unbeirrt seinen Weg, skeptisch gegenüber Emotionen und abgeneigt gegenüber Identifikation, also genau das, was landläufig Kino ausmacht. Sogar seinem eigenen Erfolg von Noah und der Cowboy misstraute er und gestaltete seinen zweiten Spielfilm, Till, immer noch schwarz-weiss, aber sperriger und elliptischer in der Erzählform.
Das Geliebtwerden mag für Felix nicht im Zentrum stehen, aber auch er will sicher, dass seine Filme gesehen werden. Und das ist mit den Jahren sehr viel schwieriger geworden. Kulturelles Breitenangebot – um nicht Überangebot zu schreiben – und die extensive Aufmerksamkeitsbewirtschaftung der Zivilgesellschaft (das schwammige Modewort passt hier gut, weil das Volk, also wir alle, immer mehr zu einer schwammigen Masse verkommt, die sich gut und gerne manipulieren lässt) drängt alles Sperrige, Vielschichtige oder Fein-Poetische an den Rand. Die Filmkritik hat sich bis zur Unkenntlichkeit ausgedünnt und beschäftigt sich vor allem mit roten Teppichen und dem People, das darauf herumstolziert. Stolz ist Felix nicht, aber seine Würde hat er sich immer bewahrt. So gesehen verkörpert er, der kluge und sensible Secondo, der vom Munot über Wien nach Bern gezogen ist, den wahren Schweizer, der das wichtigste Grundrecht, wie es in der Bundesverfassung definiert ist, auch selbst wahrnimmt: «Die Würde des Menschen ist zu achten und zu schützen.» So wie Felix eben, der als Filmschaffender die kleinen und grossen Ereignisse, die zu Brüchen der menschlichen Würde führen, auslotet wie kein anderer und der sich als Mensch eine wichtige Fähigkeit zur Wahrung seiner eigenen Würde erhalten hat: ein schlechter Konsument zu sein.
Hui, das wird aber eine ausschweifende Tissi-Reflexion! Aber auch da sind wir nah bei Felix, denn das Ausschweifen ist Bestandteil seiner Filme, auch wenn sie dramaturgisch äusserst stringent aufgebaut sind.
Würdig und durchwegs korrekt ist nicht nur sein eigenes Verhalten, sondern immer auch das seiner Hauptpersonen, zumindest nachvollziehbar. An seinen Drehbüchern feilt Felix so lange herum, bis die raffinierte Konstruktion stimmt und vor allem die Psyche der Figuren. Im besten Fall – und darunter geht es bei ihm nicht – sagen seine Personen selber, was sie wollen; sie reden ihre eigene Sprache, und er muss sie nur noch aufschreiben. Diese Selbständigkeit tritt aber meist erst ungefähr ab der achten Drehbuchfassung und einigen Gläsern Rioja ein. Dann ist die Schreibtrance erreicht, wie bei der allerersten Niederschrift. Die Versionen dazwischen sind harte Knochenarbeit. Denn Felix schreibt anders als seine Kollegen, die zuerst ein Exposé verfassen, das ein Handlungsgerüst aufzeigt, dann ein Treatment, verfeinert, aber noch ohne Dialoge, und erst dann ein ausformuliertes Drehbuch. Er schreibt von Anfang an detailliert, wissend, dass der Reiz eines Films im Detail, im Ideenreichtum liegt und dass ein Dialogsatz auf die Handlung Einfluss nehmen kann.
Das hochpräzise Drehbuch kam mir als Kameramann dann allerdings fast wie ein Heiligtum vor, und wie jedes Heiligtum auch irgendwie als Korsett. Vielleicht hat sich auch deswegen meine eigene filmische Arbeit vom Spielfilm entfernt, denn ich lasse mich beim Drehen gerne von der jeweiligen Situation beschenken, manchmal auch bedrängen, was ich im Entstehungsprozess eines Films als kreatives Wechselbad zwischen Erfüllung und Verzweiflung empfinde.
Akribisch präzise einem Drehbuch zu folgen, das ist nicht mein Ding, doch für Felix hat es hohe Priorität. Auch da ist er ein Unbeugsamer, der der optischen Nähe zu den Figuren misstraut, deshalb sind Nahaufnahmen in Felix’ Filmen eine Rarität, ebenso eine bewegt-dynamische Kameraführung. Beides hat für Felix’ filmisches Konzept zu viel direkt-emotionales Potenzial. Die Figuren, die er erschafft, gibt er in seinen Filmen der Verlorenheit preis, sei es in den Weiten Russlands, auf einem Hochhausdach im Tscharnergut oder in der isländischen Einöde. Die Verlorenheit des Menschen in seiner eigenen Geschichte, gegenüber seinem eigenen Schicksal, das ist für Felix’ Figuren die wahre Herausforderung – ebenso für die Zuschauer der Filme, die in Tissis Filmen immer Zuschauer bleiben müssen, nicht Mitfieberer, Mitleider oder Mitfreuer sein können, wie sie es sich vielleicht manchmal wünschen würden.
Gesendet: Dienstag, 15. März 2016 um 11:06 Uhr
Von: «Res Balzli» <resbalzli@hotmail.com>
An: «Dieter Fahrer» <balzli-fahrer@gmx.net>
Betreff: Re: Re: Re: Re: Re: Re: Re: Text fürs Rex
Aber da gibt es nichts zu wünschen, denn Felix, wie gesagt, ist ein Unbeugsamer.
Res Balzli und Dieter Fahrer
Res Balzli und Dieter Fahrer sind gemeinsam Inhaber der Balzli & Fahrer GmbH, Filmproduktion in Bern. Seit 1984 haben sie 23 Dokumentar- und Spielfilme produziert. Als Regisseure zeichneten Felix Tissi, Peter Liechti, Nicolas Humbert und Werner Penzel, Philip Gröning, Simon Baumann, u. a.
Res Balzli hat 2010 den Dokumentarfilm Bouton realisiert. Am 21. April kommt sein erster Spielfilm Tinou in den Kinos.
Dieter Fahrer zeichnet bei vier Dokumentarfilmen als Regisseur. Besondere Beachtung fanden Que sera? (2004) und Thorberg (2012). www.balzli-fahrer.ch