Sein Name steht für engagiertes Politkino mit Breitenwirkung: Costa-Gavras, am 12. Februar 1933 in Griechenland als Konstantínos Gavrás geboren, hat mit legendären Werken wie Z - ou L'anatomie d'un assassinat politique (1969) oder L’aveu Filmgeschichte geschrieben. Wir zeigen zwölf seiner Filme, von seinem Erstling Compartiment tueurs (1965) bis zu seinem jüngsten Werk Adults in the Room (2019). Costa-Gavras wird zum Auftakt am 2. Juni im REX anwesend sein.
Gerhard Midding
Als Costa-Gavras 1966 Un homme de trop drehte, musste er oft an seinen Vater denken. Die Berglandschaft der Cevennen, in der seine zweite Regiearbeit entstand, unterschied sich gar nicht so sehr von der des Peleponnes – sie ist ebenso schroff, majestätisch und unwägbar –, wo sein Vater einst Widerstand gegen die deutschen Besatzer leistete. In Kindertagen hatte er sich ihn noch als Einzelkämpfer vorgestellt; später begriff er, dass er als Partisan im Verbund mit Gleichgesinnten stand.
Bei den Vorbereitungen zum Film wurde Costa-Gavras aber auch bewusst, dass es nicht nur eine Résistance im besetzten Frankreich gab. Die einzelnen Zellen agierten aus durchaus unterschiedlichen Beweggründen. Ihre Herkunft, Ideologie und Moral variierten. Partisanenfilme handeln, wenn sie ehrlich sind, von Widersprüchen und Ungewissheit, von einer Geschlossenheit, die verraten werden kann. Die Gruppe in Un homme de trop ist ein Mikrokosmos, ein Schmelztiegel: Viele der Freischärler stammen aus der Region im Süden Frankreichs, einige aus den Kolonien, andere haben schon in Spanien gegen den Faschismus gekämpft. Sie alle mussten schnell Profis im Töten werden. Das ist auch ein Abenteuer, ein Spielfeld des Tatendrangs, auf dem brüsk Tragikomik und Ironie aufblitzen können. Aber keiner lässt sich leichtfertig darauf ein. Der Kampf geht weiter, nachdem die letzte Einstellung ausgeklungen ist.
Filme zu drehen, wie Costa-Gavras es tut, ist ein Mandat, das nie aufhört. Von ihm kann man nicht kurzerhand zurücktreten. Mag die Verzweiflung über die infame Einrichtung der Welt auch noch so gross sein, der Elan und die Wut dürfen nicht erlahmen. Politthriller zu drehen, ist eine Lebensaufgabe, der nicht jeder Filmemacher gewachsen ist. Ausser dem gebürtigen Griechen hat sich dieser Disziplin nur noch Francesco Rosi mit der gleichen Hingabe und Beharrlichkeit verschrieben. Gewiss, Costa-Gavras hat regelmässig das Register gewechselt, hat zwischendurch «leichtere» Filme gewissermassen zur Entspannung gedreht. Womöglich hat er dabei aber nur andere Muskelpartien trainiert. Clair de femme (1979) etwa wirkt auf den ersten Blick wie ein waschechtes Melodram, gibt sich als psychologisches Starkino zu erkennen. Aber im Kern folgt dieser Schlüsselfilm über das Sterben von Jean Seberg dem gleichen Impuls wie Z (1969), L'aveu (1970) oder Missing (1982): der Wahrheitssuche.
Er gehorcht ihm unerbittlich, greift kontroverse Themen wie die israelische Siedlungspolitik in Palästina (Hanna K., 1983) oder die drakonische Austeritätspolitik in der EU (Adults in the Room, 2019) auf. Seine Anliegen verfolgt er mit beispielloser Ausdauer: Mit dem Nazi-Terror, dem Holocaust ebenso wie dem Zerstörungswerk, das er in seiner Wahlheimat Frankreich anrichtete, setzt er sich in einem ganzen Zyklus auseinander, der von Un homme de trop (1967) bis Music Box (1989) reicht; die Sabotage lateinamerikanischer Freiheits- und Demokratiebestrebungen durch die US-Geheimdienste denunziert er in État des siège (1972) überaus vielschichtig und bringt sie in Missing gleichsam zur Neuvorlage. Dabei setzt er selten Scheuklappen auf, befreit sich von ideologischen Befangenheit und spürt den Verfehlungen aller politischen Lager nach. Es war ein unerhörter Tabubruch, als er, sein Drehbuchautor Jorge Semprun und sein Star Yves Montand – allesamt Männer der Linken – in L'aveu schonungslos die stalinistischen Säuberungsaktionen in osteuropäischen Satellitenstaaten geisselten. Costa-Gavras drehte engagierte Filme in politisch bewegten Zeiten, die auch in der Rückschau brandaktuell wirken. Die historischen Konflikte mögen durch neue ersetzt worden sein, aber die Mechanismen der Unterdrückung, Demagogie und Korruption haben sich kaum verändert: Der Befund seiner Paranoiathriller hat sich stets als hellsichtig erwiesen.
Früh verlässt er seine Heimat, um in Paris an der Sorbonne zu studieren und alsbald die Filmschule IDHEC zu besuchen. Als er sein Diplom in der Tasche hat, geht er nicht den Weg der Nouvelle Vague, mit der sich eine blutjunge Generation von Filmemachern Bahn bricht. Statt dessen sammelt er als Assistent etablierter Regisseure wie René Clair und René Clément Erfahrung mit den praktischen Problemen des Filmgeschäfts. Diese Lehrzeit prägt ihn. Er ist nicht nur ein aufmerksamer, sondern wachsamer Assistent. Unter den 15 Filmen, an denen er mitwirkt, ist ihm La baie des anges (1962) am wichtigsten. Bei der Arbeit mit Jacques Demy fasziniert ihn vor allem, wie er ein Tabu des klassischen Kinos bricht, die Verwendung der Farbe Weiss. Alles im Film ist in gleissendes, verwirrendes Weiss getaucht. Das Unmögliche zu wagen, hat ihm schon sein Vater beigebracht; Costa-Gavras’ Memoiren tragen nicht von ungefähr den Titel «Va où il est impossible d'aller». Am Ende der Dreharbeiten hat er eines gelernt: Im Kino ist das Verbotene erlaubt.
Während seiner Zeit als Assistent schliesst er enge Freundschaften, mit Agnès Varda, Chris Marker (der in späteren Jahren sein Mieter wird) und vor allem dem Paar Simone Signoret und Yves Montand. Sie verschaffen ihm die Chance, mit Compartiment tueurs 1965 seinen ersten eigenen Film zu realisieren. Er ist bereit: In einer Fernsehreportage vom ersten Drehtag wirkt er ganz konzentriert und nicht im Mindesten nervös, kein Detail entgeht ihm, jede Geste der Schauspieler:innen sitzt. Noch die kleinste Rolle ist prominent besetzt. Das schüchtert ihn nicht ein. Mit souveräner Agilität setzt er den Krimi von Sebastien Japrisot in Szene. Die Enge des Schlafwagenabteils ist eine Herausforderung an seine visuelle Vorstellungskraft. Auf begrenztem Raum dreht er in CinemaScope, mit einer zupackenden Handkamera. Schon sein erster Film besitzt eine Dringlichkeit, die sich mit dem Drehen vom Stativ schwerlich herstellen lässt. Überhaupt sind bereits viele Stilmerkmale seiner weiteren Filme präsent, etwa das unverhoffte Auftauchen von Erzählstimmen aus dem Off, die seinem Kino das Flair eines Bewusstseinsstroms verleihen.
Dass er ein Meister des Ensemblefilms ist, bestätigt gleich darauf Un homme de trop. Die chorale Form lässt Ambivalenzen zu, eine Vielfalt der Perspektiven und Positionen. Zwar erzählt Costa-Gavras in der Folge regelmässig vom Widerstand des Individuums gegen ein Unrechtssystem. Aber stets trägt er dafür Sorge, dass sie keine Einzelkämpfer oder die Verkörperung einer Idee sind, sondern Stellvertreter eines Kollektivs. Er dreht Filme aus persönlicher Betroffenheit, aber er ist das Gegenteil eines autobiografischen Filmemachers. Der Protagonist von Eden à l‘ouest (2009) mag zwar ein wenig an die Anfänge des späteren Regisseurs erinnern – ein junger Mann, der um jeden Preis nach Paris will –, aber Costa-Gavras bindet seine Geschichte in den aktuellen Kontext der Migration zu Beginn dieses Jahrtausends ein. Er ist kein Erzähler in der ersten Person Singular, sondern in der dritten. Seine Neugier auf andere, auf das Fremde ist einfach zu gross.
Seine Studienzeit verbringt er in der Obhut der Cinémathèque française, deren Präsidentschaft er inzwischen schon zum zweiten Mal übernommen hat. Dort engagiert er sich für die Bewahrung des Filmerbes und dessen Vermittlung an ein neues Publikum: auch das ein Kampf, der nie aufhört. Nach wie vor ist er ein unvermindert neugieriger und leidenschaftlicher Kinogänger: ein echter Cinéphiler, der fasziniert davon ist, wie die Mechanismen seines eigenen Mediums funktionieren. Die Montage seiner Filme beruht auf dem Insistieren, der unnachgiebigen Wiederholung. Er kennt den Wert der Eindeutigkeit. Die Obristen in Z etwa sind augenblicklich als Schurken zu erkennen, so unzweifelhaft ist ihnen die Niedertracht ins Gesicht geschrieben.
Missing demonstriert mustergültig, welche Brücken er dem Publikum baut, damit es sich auch auf unbequeme Wahrheiten einlassen kann. Weichgezeichnete, farbenfrohe Bilder ziehen es in die Geschichte hinein. Erst allmählich bricht die grimmige Realität der chilenischen Vernichtungslager in die mulmige Idylle ein. Costa-Gavras erschliesst dem amerikanischen Publikum die Zerrissenheit der eigenen Nation als Generationenkonflikt, bei dem Jack Lemmon die Rolle des lernfähigen Konservativen und seine Schwiegertochter Sissy Spacek die der treuherzigen Liberalen spielt. Lemmon ist eine kongeniale Besetzung, ein Treuhänder amerikanischer Rechtschaffenheit, der der «Moral Majority» auch dann geheuer bleiben kann, als er inmitten der Leichenberge eines fremden Landes das Vertrauen in die Grundwerte des eigenen verliert. Das State Department veröffentlichte übrigens zum ersten Mal in seiner Geschichte vor dem Start eines Films ein rabiates Dementi: Tatsächlich, es gab einmal eine Zeit, in der Washington Hollywoodfilme noch zu fürchten hatte.
Beim erneuten Sehen offenbaren seine Filme ungeahnte Nuancen, vor allem in jenen Szenen, die sacht aus dem Plot ausscheren und die Figuren für einen Moment einfach nur sich selbst überlassen: etwa, wenn Jack Lemmon in Missing oder Yves Montand in Z bei der Ankunft in fremden Hotelzimmern zuerst Fotos ihrer Familie aufstellen, oder wenn Jessica Lange in Music Box gedankenverloren den Sitz ihrer Nylonstrümpfe begutachtet. Seine Arbeit mit Montand, dessen melancholische Jovialität er wie kein zweiter kannte und der zu seinem filmischen Doppelgänger wurde, zeigt ohnehin, wie intim und vertraulich sein Kino sein kann. Wenn er sich in Z anfangs vor einer Rede sammelt, spürt man, dass Costa-Gavras oft dabei war, wenn sein Freund sich konzentriert auf einen Konzertauftritt einstimmte.
Die Karriere dieses Filmemachers ist ein Wunder der Zähigkeit. Noch immer ist Costa-Gavras ein Unentwegter, der darauf besteht, dass das Kino von politischen und sozialen Konflikten erzählen muss, die sonst durch das grobmaschige Netz der Unterhaltung fallen würden. In Le couperet (2005) kleidet er die Innenansichten einer durch den Neoliberalismus verharschten Arbeitswelt ins Genrekostüm der schwarzen Komödie. Er adaptiert Donald Westlakes Roman als nur vordergründig zynische, vielmehr unverhofft stimmige Sozialparabel und erzählt vom Serienmord als Karriereplanung: Nachdem Bruno Davert (José Garcia) vor drei Jahren seinen Managerposten in einer Papierfabrik verloren hat, beginnt der verantwortungsvolle Familienvater nun, nach einer Schonfrist bohrender Skrupel, die Liste seiner Konkurrenten zu dezimieren.
Man unterschätzt allzu leicht die Rolle, die der Humor in seinem Kino spielt. Sein Regiedebüt steckt voller Bizarrerie und Charakterkomik, die Partisanen in Un homme de trop besitzen viel Mutterwitz. In Adults in the Room knüpft er nahtlos und meisterlich an diese Anfänge an: Es ist eine Komödie der Eitelkeiten. Wie so oft bei Costa-Gavras steht der tragische Ausgang der Geschichte schon fest – Griechenland muss sich 2015 dem neoliberalen Diktat der europäischen Troika beugen. Der Aussenseiter Yanis Varoufakis steht einer unbezwingbaren Übermacht gegenüber. Aber er ist der Einzige, der sich bei Versammlungen, Konferenzen und in den Kulissen frei und selbstbestimmt bewegt. Mit provozierendem Selbstbewusstsein nimmt er jeden Raum in Besitz. Sein Regisseur lässt sich von dieser Freizügigkeit beherzt ins Schlepptau nehmen. Einmal schwirren Zahlen und Bilanzen als Spezialeffekt, als muntere Animation, über die Köpfe der Verhandlungspartner. Später formieren sich Varoufakis’ Gegenspieler zu einer hinreissenden Choreografie. Diese surrealen Interventionen nehmen dem Film nichts von seiner Gravitas, aber sie setzen ihr eine rauschhaft entfesselte Filmsprache entgegen. Vor ein paar Wochen ging durch die Nachrichten, dass Griechenland mittlerweile seine Schulden beim Internationalen Währungsfonds getilgt hat. Die Staatsverschuldung ist nach wie vor erdrückend hoch. Der Kampf geht weiter.
Gerhard Midding ist freier Autor für Tageszeitungen, Zeitschriften, Radio und Fernsehen. Er lebt in Berlin.
Die Retrospektive entstand in Zusammenarbeit mit Dia.Logos - Verein zur Förderung der griechischen Sprache und Kultur, Bern.