Filmische Bildnisse einer rätselhaften Kunstfigur: Valérie Knoll und Hans-Christian Dany haben fürs REX eine Dandy-Reihe kuratiert. Den Ausgangspunkt bildete ihre Kunsthalle-Ausstellung «No Dandy, No Fun», die nach ihrer Eröffnung im Oktober 2020 wegen der Pandemie nahezu ungesehen blieb und nun filmisch sozusagen wiederbelebt wird. Die beiden haben ein elf Spielfilme umfassendes Programm mit legendären und kontroversen Titeln gestaltet, das exzentrisch, raffiniert, selbstreflexiv und schwer fassbar ist wie die Figur des Dandy. In ihrem Einführungstext gehen Knoll und Dany den Spuren einer Figur nach, die sich stets entzieht.
Hans-Christian Dany, Valérie Knoll
Neunzig Jahre nach dem Tod von George Bryan Brummell (1778–1840) stellte Virginia Woolf die Frage: «Warum sind Frauen für Männer so viel interessanter als Männer für Frauen?» Im Dandy der ersten Stunde erkannte die Schriftstellerin eine Ausnahme und widmete ihm eine Miniatur-Biografie, die die BBC am 20. November 1929 ausstrahlte.
Das war fünf Wochen nachdem die New Yorker Börse am Black Friday ins Bodenlose gestürzt war. Schon der Zeitpunkt war charakterisierend für die Figur des Dandy. Der grosse Crash leitete die folgenreichste Wirtschaftskrise der Moderne ein. Mit ihr begann das Ende einer Epoche. Es war der Anfang einer Zeit des Übergangs, in der sich die Entwicklungen auf eine Zukunft ausrichteten, die noch nicht zu erkennen war. In genau solchen Phasen der Dekadenz als Zeiten ohne Aussicht kommen Dandys wie Zombies aus ihren Gräbern gekrochen. Die Kluft zwischen Vergehendem und Kommendem, mit ihren Momenten der Verzweiflung, ist ihre Bühne. Während um sie herum die Angst regiert, was werden wird, bewegen sie sich unberührt und leicht schwebend durch das Geschehen des Verfalls, genau wie einst Brummell gespenstisch durch den Niedergang des englischen Adels flaniert war.
In ihrem Radio-Feature fragte Woolf, warum ausgerechnet dieser unheimliche Narr einer sterbenden Gesellschaft, von dem nur Schulden und Gerüchte blieben, einen so hartnäckigen Eindruck hinterlassen konnte. Dass sich Brummell nie verbeugte oder Speichel leckte, erschien ihr respektabel. Sie würdigte auch seine Lebensphilosophie, zu der es gehörte, sich zu nehmen, was seiner Herkunft nicht zugestanden wurde. Doch bald kam sie auf seine zweite Lebenshälfte zu sprechen, jene Jahre, nach denen der bankrotte Dandy aus London ins französische Exil geflohen war. Bis zu diesem Bruch in seiner Biografie habe er eine bessere Zukunft versprochen, in der Menschen nicht mehr reich geboren sein mussten, um am guten Leben teilzuhaben. Doch, fragt sie, was wurde aus ihm? Er endete im Armenhaus, starb verkommen und schlecht gekleidet, trat ab wie jene um ihn herum, die vergessen wurden, bevor man sie verscharrte.
Brummell endete elend, aber dann kam alles ganz anders. Er wurde Geschichte. Aber warum eigentlich?
Dass er sich viele Freiheiten nahm, hatte beeindruckt. Aber noch stärker wirkte, dass er ein Phantom blieb. Magisch zog er die Blicke auf sich, doch niemand wusste, wer sich hinter seinen Masken verbarg. Der Undurchschaubare blieb jedoch auf andere bezogen, reagierte, wie sie auf ihn reagierten, trat in den Austausch, selbst wenn er sich nicht zeigte.
Indem er eine geformte Kunstfigur blieb, statt sich dem Strom seines Selbst hinzugeben, entwarf er einen Modellcharakter, den Dandy. Der bleibt auf Distanz. Er bringt sich nicht individuell ein und kommt auch mit keiner Identität als Argument um die Ecke. Dandys verweigern den subjektivierten Umgang mit der Welt. Sie twittern keine Meinung oder brechen das Politische darauf herunter, ihren persönlichen Fussabdruck in der Stratosphäre in den Griff zu bekommen. Sie verweigern die Privatisierung des Politischen.
Doch zurück zur Urfigur des 19. Jahrhunderts, die wieder aktuell erscheint in einer Gegenwart, die sich zunehmend von der Politik als einer Form der selbstdisziplinierten Verhandlung der gemeinsamen Probleme verabschiedet.
Die zahlreichen Gerüchte, die das Phantom Brummell schürte, verloren auch nach dessen Tod nichts von ihrer Wirkkraft und wurden immer weitergetragen. Die Darstellungen fielen nicht unbedingt vorteilhaft aus, doch war es gerade das Zwiespältige, was die Gespräche weiter lodern liess. Die Legenden um den Sagenumwobenen formen bis heute die Maquette, mit der alle späteren Formen des Dandytums seither verglichen wurden.
Dass Virginia Woolf das Scheitern als besonderes Merkmal hinzufügte, tat der Faszination für den Dandy kaum einen Abbruch, bereicherte es die ambivalente Figur doch um das Moment des dramatischen Abgangs. Und sie sind beliebt, solche Geschichten des Scheiterns, spiegeln sie doch unsere eigenen Ängste, die wir an andere delegieren. Darin nahm die Dynamik des Dandys etwas vom Kino vorweg, jenem Ort, wo flüchtige Lichtgestalten für mich fallen, lieben und töten.
Woolf reduzierte Brummell aber nicht auf sein Scheitern. Vielmehr strich sie heraus, dass es sich beim Dandy um einen Menschen handelt, der erst durch die anderen zum Bild wird. Die tatsächliche und die betrachtete Figur, die Handlungen und der Blick auf sie üben wechselseitig Einfluss aufeinander aus. Dadurch werden Dandys zu Geschichten, die sich nie zu Ende erzählen lassen. Aber was erzählt diese unendliche Geschichte?
Sie erzählt nicht zuletzt, es gibt den Dandy gar nicht. Jene, die versuchten, sich der idealisierten Person anzunähern, kamen nie an die projizierte Vorstellung heran. Es ist unmöglich, ein Dandy zu werden. Aber in ihrem Danebenliegen veränderten die, die es versuchten, immer wieder das Bild davon, was ein Dandy sein könnte, in dem sie eine weitere Variation hinzufügten. Nicht wenige Dandys wollten das Bild, das es von ihnen gab, sogar zerstören. Dandys drängte es zum Bildersturm, besonders in eigener Sache. Weniger heroisch formuliert, neigten sie zur Selbstzerstörung.
Nicht wenige Dandys nahmen sich das Leben. Die Wege, sich ihrer selbst zu entledigen, waren vielfältig.
Auf der Suche nach der Selbstauflösung bastelten sie an ihren Hüllen herum. Sie maskierten, wer sie waren, indem sie äusserlich andere wurden und die Anzeichen ihrer angeborenen Identität versteckten oder im Alkohol versenkten. Und wenn alles nicht half, gingen sie bis zum Äussersten und legten Hand an sich. Es war der Wille: nichts zu sein und nichts zu wollen. Aber was kann das sein, nichts?
Die dandyesken Anstrengungen, zu verschwinden, beginnen oft damit, die eigene Person als Objekt zu begreifen, das verändert und gespielt werden kann, fast so, als sei es eine Marionette. Es ist die Fantasie: sich im Griff zu haben. Doch diese Flucht vor sich selbst durch Verdoppelung in eine Puppe stösst an eine Grenze, da jede Marionette sich auch selbst spielt.
Als Darsteller auf der Flucht vor sich selbst misstraut der Dandy dem, was gegeben sein soll, aber auch sich selbst. Dem, was er für falsch hält, stellt er seine Künstlichkeit entgegen, die so tut, als gruppiere sie sich um eine innere Leere. Vielen ist dabei die ganze Zeit bewusst, dass ihr Fluchtversuch zum Scheitern verurteilt ist. Der drohende Sturz wird zum dauernden Begleiter, doch sie sehen keinen anderen Ausweg.
Dandys kultivieren aus der vielfach gebrochenen Flucht vor sich selbst aber auch eine Haltung. Dabei wirken sie wie Spieler und im selben Moment wie Verzweifelte, die versuchen, aus der Not eine Tugend zu machen. Dass jene Person, die sie sein sollen, für sie ein blinder Fleck bleibt, betrachten sie nicht als Mangel, sondern als Möglichkeit, zu werden, wer sie nicht sind. Ihre Selbstveränderungen stehen bei all dem jedoch im scharfen Kontrast zu den gegenwärtigen Aufforderungen zur Optimierung seiner selbst. Die Anstrengungen eines Dandys bleiben ohne Ehrgeiz für den Erfolg und sind frei von Ambitionen gegenüber dem gesellschaftlich als richtig Anerkannten. Schon Brummell war faul wie die Nacht. Er verkörperte zwar die Idee, seines Glückes Schmied zu sein, aber er war ein Schmied, der nie einen Hammer zur Hand genommen hatte.
Hinzu kommt, sie entziehen sich. Statt Anschluss zu suchen an ihre Zeit, fahren Dandys lieber wie Geisterfahrer über die Autobahnen ihrer Gegenwart. Sie sind zwar fasziniert vom Hier und Jetzt und verfolgen genau, was geschieht, sie bewegen sich aber anachron. Sie fahren aus oder neben der Zeit. Das ist nicht gleichzusetzen mit einer Ablehnung des Fortschritts. Dandys fragen sich aber: Braucht es dafür das Neue oder ein ungebrochenes Ja zum Zeitgeist? Manche gehen sogar einen Schritt weiter mit der Annahme, das Neue verhindere den Fortschritt. Das zu sagen, war lange ein Tabu und galt als Kulturpessimismus. Mittlerweile lässt sich aber kaum noch übersehen, dass 999 von 1000 Dingen, auf denen «Neu!» steht, nicht den geringsten Fortschritt mit sich bringen. Wirtschaftlich schafft das Neue zwar einen Mehrwert, ökologisch ist es schon lange eine Katastrophe.
Dandys waren hingegen Pioniere der Nachhaltigkeit, da sie möglichst wenig taten und Altes wieder benutzten. Ihr Haltung scheint heute wieder bedenkenswert, in einer Zeit, in der lieber geordnet und renoviert werden sollte, was da ist, statt Neues hinzustellen, das bald wieder alt ist und reichlich Ressourcen verbraucht. Schon Walter Benjamin kam mit dem alte Texte verwertenden Montageprinzip seines Passagen-Werks zur Einsicht: «Ich habe nichts zu sagen. Nur zu zeigen.» Und dann zeigte er auf das Denken eines verstorbenen Dandys: «Es ist ganz wichtig, dass das ‹Neue› bei Baudelaire keinerlei Beitrag zum Fortschritt leistet.» Vieles ist da, wir nutzen es nur nicht. Und gelegentlich kommt es beim Spazieren auf der grossen Müllhalde auch mal zu einem Fortschritt.
Das Filmprogramm versammelt besondere kinematografische Erlebnisse auf unserem Weg, die komplexe Gestalt des Dandys zu durchdringen. Bei den Hauptfiguren der Filme handelt es sich um Dandys im weiteren Sinne. Was fast alle Filme verbindet, ist das Umherschweifen von Einzelgängern und einer Einzelgängerin, die ihren Platz in der Gegenwart nicht finden. Ein König, der sich weigert, das Denken seiner Zeit zu akzeptieren. Ein Ausserirdischer, der die Geschichte der die Erde Bewohnenden, die ihn unterdrücken, nicht anerkennen will. Ein Spekulant, der davon träumt, die falsche Welt, in der er erfolgreich arbeitet, zu zerstören. Ein Melancholiker, der nicht mehr der lustig Unberührte sein will, den die anderen von ihm erwarten. Eine Frau, die in die Realität nicht hineinpasst und sich durch den Alkohol eine andere erfindet. Es sind Filme über das Fremdbleiben und den Wunsch, seine eigenen Wege zu gehen, statt einfach weiter mitzulaufen.
Valérie Knoll und Hans-Christian Dany befassen sich seit vielen Jahren mit dem Dandy und dessen Zukunft. Zuletzt kuratierten sie gemeinsam in der Kunsthalle Bern die Ausstellung «No Dandy, No Fun» (2020). Demnächst erscheint ihr die Ausstellung weiter denkendes Buch unter dem gleichen Titel bei Sternberg Press/The MIT Press.
Valérie Knoll war von April 2015 bis März 2022 Direktorin der Kunsthalle Bern. Hans-Christian Dany lebt in Hamburg und schreibt Bücher über Drogen, Kybernetik, Kunst und Mode.
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