Der Samuraifilm gilt als Paradebeispiel für die ästhetische Raffinesse des japanischen Kinos und für dessen tiefe Verankerung in Japans Geschichte und Kultur. Die Samurai-Ausstellung im Bernischen Historischen Museum ist uns Anlass für eine Hommage an dieses Genre, das global rezipiert und bis heute immer wieder erneuert wird.
Till Brockmann
Zurschaustellung von Gewalt ist seit Beginn der Filmgeschichte eines der beliebtesten Argumente, womit das Publikum in die Kinos zu locken ist. Kriegs-, Gangster-, Polizei-, Ritter-, Kampfkunstfilme oder auch der Western sind Genres, die in verschiedensten Ländern ihre eigene Prägung erfahren haben. Doch aufgrund universeller Themen und Erzählstrukturen – das Gute gegen das Böse, der Kampf um Gerechtigkeit oder das nackte Überleben – taugen solche Genres trotz ihres spezifischen nationalen und kulturellen Kontexts häufig auch für die internationale Zirkulation. Der Samuraifilm ist in dieser Hinsicht keine Ausnahme, vielleicht sogar ein Paradebeispiel. Tief verankert in der japanischen Kultur und Geschichte, haben Filme über die edlen und virtuosen Schwertkämpfer weit über die nationalen Grenzen hinweg Anklang und Bewunderung gefunden. Ihre, besonders aus westlicher Sicht, exotische Komponente ist dabei eher Triebfeder als Hindernis für diese Wertschätzung.
Die ersten Samuraifilme entstanden aus dem Kabuki und anderen indigenen Theaterformen in den 20er- und 30er-Jahren, doch der wahre Aufschwung kam erst nach dem Zweiten Weltkrieg, in den 50er- und 60er-Jahren – interessanterweise verschmähten die ultranationalistischen, militärischen Kräfte Japans während der Kriegsjahre das Genre hingegen als triviale, überflüssige Unterhaltung. Überdies ist das Genre in Japan auch etwas anders konfiguriert als bei uns. Dort unterteilt man die gesamte Filmproduktion zunächst in zwei grosse Kategorien: das Jidai-geki, dazu gehören alle Stoffe in historischer Epoche, so eben auch Samurai-Erzählungen, und Gendai-geki, Filme, die in der Gegenwart spielen. Spezifischer für Samuraifilme ist der Ausdruck Chanbara, der für Schwertkampffilme im Allgemeinen verwendet wird – der Begriff soll lautmalerisch die Geräusche der Waffen evozieren, wenn sie aufeinandertreffen: Die machen in Japan chan-chan und bara-bara.
Samurais, die teilweise auch nur als Bushi (Krieger) bezeichnet werden, traten in Japan als professionelle Kämpfer in etwa um die erste Jahrtausendwende auf. Sie hatten dem Kaiser und anderen Fürsten zu dienen und wurden bald zu einem eigenständigen gesellschaftlichen Stand, einem Schwertadel, der ebenso viele Privilegien wie Pflichten hatte. Sie hatten dem Ehrenkodex Bushidō (Weg des Kriegers) zu folgen, dessen oberste Gebote Loyalität und bedingungsloser Gehorsam bis in den Tod hiessen. Um ihre Vormachtstellung gegenüber den Bauern zusätzlich zu legitimieren, schulten sie nicht nur den Körper, sondern auch den Geist und bildeten sich in Künsten wie Malerei, Kalligrafie, Poesie, Theater und Tanz aus, nahmen konfuzianische, schintoistische und zenbuddhistische Werte auf, übten sich in der Teezeremonie und anderen schöngeistigen Aktivitäten. So weit, so gut. Doch es besteht kein Zweifel daran, dass die historische Realität meistens ganz anders aussah als diese idealisierte Vorstellung des edlen Kriegers, die vor allem eines ist: ein Mythos. Diese Spaltung wird in Japan bewusster wahrgenommen als im Westen, wo die Samuraibegeisterung und -verklärung wohl mit dem 1900 in den USA von Nitobe Inazō geschriebenen und veröffentlichten Buch «Bushido: The Soul of Japan» ihren Anfang nahm. Das Buch wurde unter anderen auch von John F. Kennedy oder Robert Baden-Powell, dem Gründer der Boy-Scouts, enthusiastisch rezipiert. Inazō stammte selbst aus einer Samuraifamilie, konvertierte später allerdings – vielleicht noch nicht mal überraschend – zum Quäkertum.
Samuraifilme bedienen gewöhnlich beides, den Mythos und dessen Dekonstruktion – am konsequentesten wohl solche neueren Datums, wie Yoji Yamadas Twilight Samurai (2003), dessen Titel schon das Ende einer Ära und einer Figur ankündigt, oder Hirokazu Kore-edas Hana (2006), der genüsslich die Fallhöhe des Idealbildes nutzt, um es skeptisch und humorvoll in seine Einzelteile zu zerlegen. Doch auch Genreklassiker von Akira Kurosawa wie Sanjuro (1962) oder Das Schloss im Spinnwebwald (1957) oder Masaki Kobayashis Meisterwerk Harakiri (1962) hinterfragen gern und deutlich die Glaubhaftigkeit der edlen Samurai-Ethik.
Bezeichnend ist in dieser Hinsicht, dass die populärste und am meisten behandelte Figur in Samuraifilmen nicht der etablierte, mit den Privilegien der Macht und der sozialen Sicherheit ausgestattete Krieger, sondern die des Ronins ist. Der Ronin ist ein herrenloser und in dem Sinn häufig auch arbeitsloser Samurai, der auf dem Papier zwar den Rechtsanspruch und das Ansehen seines feudalen Standes geniesst, in der Regel aber ein Dasein der Armut und Entbehrung fristet. Statt durch das Raffinement der Sitten und Moralin zeichnet er sich eher durch Opportunismus und solide Raubeinigkeit aus.
Besonders in der im Vergleich zu vorigen Jahrhunderten relativ friedlichen Tokugawa-Zeit (1603–1868), in der die Geschehnisse vieler Filme angesiedelt sind, und der folgenden Ära der Modernisierung Japans, der Meiji-Zeit (1868–1912), war für die Scharen kampftüchtiger Krieger schlicht kein Bedarf mehr. Die wenigsten Ronin waren aber gewillt, ihre Schwerter abzugeben und als Bauern oder Handwerker zu arbeiten. Oft liessen sie sich als Schutzpersonen anheuern oder übernahmen ethisch zweifelhafte Aufträge, bei denen sie ihre Kampfkunst in den Dienst irgendwelcher Potentaten stellten. Andere wiederum verlotterten, gaben sich dem Reisschnaps hin oder wurden gar zu Banditen. In der filmwissenschaftlichen Literatur werden die Ronins oft mit den hired guns des amerikanischen Western verglichen, doch beachtet man ihre psychologische Komponente, wäre eine Parallele zu den innerlich zerrissenen Film-noir-Helden fast angebrachter.
In dem Sinn ist es auch nicht überraschend, dass sie als narrative Figur so tauglich sind: Eine gute Dramaturgie besteht ja bekanntlich aus Krisen und Konflikten, inneren und äusseren. Und dass die Ronin besonders auch in Japan selbst, in Filmen und Mangas (japanische Comics), ein so grosses Identifikationspotenzial bieten, ist ebenfalls leicht zu erklären. Auch die durchschnittlichen Japaner*innen der Gegenwart leben in einer stark normierten Leistungsgesellschaft, in der viele Erwartungen und Ansprüche auf ihnen lasten, und bringen dadurch wohl Verständnis für Figuren auf, die eigenen (und fremdbestimmten) Zielen nicht mehr genügen können.
Dennoch kann man auch die flamboyanten martialischen Fähigkeiten der Kämpfer, die spektakulär inszenierten Schlachten, die blitzenden Schwerter und exotischen Rüstungen, die funktionale, symbolische und ästhetische Qualitäten auf wundersame Weise vereinen (das merkt man auch, wenn man die Originale im Museum betrachtet), als eine der Hauptattraktionen des Genres nicht von der Hand weisen. Kein Wunder gilt der Samuraifilm filmhistorisch als eine Art Urvorlage für ein Actionkino, das nicht nur Gewalt als solche, sondern besonders ihre überzeugend choreografierte Inszenierung ins Zentrum stellt. Das Wechselspiel von relativer Statik und Beschleunigungen, von anmutig eingenommenen Posen und energievoll ausgeführter Kampfhandlung ist wie gemacht für eine kinematografische Umsetzung. So hat der japanische Samuraifilm nicht nur den chinesischen Schwertkampffilm beeinflusst, sondern das moderne Actionkino generell. Prägende Regisseure wie John Woo, ein Hongkonger, der später auch in Hollywood im Actiongenre Massstäbe setzte, Filmemacher des New Hollywood wie Sam Peckinpah oder dann die Ikone des postmodernen Blutvergiessens Quentin Tarantino nennen zum Beispiel Akira Kurosawa als eines ihrer grossen Vorbilder.
Manchmal kommt es zu eigentlichen Remakes, wie im Fall von John Sturges' The Magnificent Seven (USA 1960), einer Western-Version von Die sieben Samurai (1954), die fast so berühmt, aber nicht halb so gut ist wie das Original. Im zeitgenössischen Kino Japans selbst sind Remakes von Genreklassikern übrigens auch wieder beliebt, so im Fall von Takashi Miikes 13 Assasins (2010), der auch international grossen Anklang fand und eine «Aktualisierung» eines gleichnamigen Films von 1963 ist. In anderen Fällen ist die Inspiration durch frühere Vorbilder weniger eindeutig, doch auf jeden Fall nachweisbar (und wird von den Regisseuren auch als solche deklariert). Mehrere erzählerische und bildästhetische Motive von Lady Snowblood (Fujita Toshiya, 1968), einem blutrünstigen, ganz auf das Rachemotiv ausgerichteten und von einer Manga-Serie inspirierten Film, sind beispielsweise in Tarantinos Kill Bill Vol 1 & 2 wiederzufinden – als einziger Film im Programm hat Lady Snowblood eine weibliche Protagonistin, die überdies im engeren Sinne nicht als Samurai zu bezeichnen ist. Doch selbst bei einem Werk wie Star Wars (1977; später: Star Wars: Episode IV – A New Hope), bei dem höchstens die Lichtschwerter noch an den Samuraifilm denken lassen, gibt es stärkere Verbindungen als zunächst vermutet: George Lucas hat mehrmals offengelegt, dass Kurosawas Das Schloss im Spinnwebwald eine Hauptinspiration für sein Drehbuch war. Andrerseits sind solche genealogischen Verbindungen komplexer als oft dargestellt. Denn der grosse japanische Meister bediente sich seinerseits nicht nur bei Klassikern der westlichen Literatur wie William Shakespeare, sondern zählte auch den amerikanischen Western und Regisseure wie John Ford zu seinen Inspirationsquellen.
In dem Sinn ist der Samuraifilm ein faszinierendes und vielschichtiges Produkt: ein bedeutender Ausdruck der japanischen Kultur, aber auch fester Bestandteil einer globalen Filmgeschichte, angesiedelt in einer längst vergangenen Epoche und zugleich in der zeitgenössischen Unterhaltungsindustrie.
Till Brockmann studierte Geschichte, Japanologie und Filmwissenschaft an der Universität Zürich. Seit zwanzig Jahren in verschiedenen Funktionen am Seminar für Filmwissenschaft der Universität Zürich tätig. Daneben unterrichtet Till Brockmann an der F+F Schule für Kunst und Mediendesign in Zürich. Seit 1995 als Filmjournalist und Filmkritiker mehrheitlich für die NZZ und das Filmbulletin tätig. Seit mehr als zwanzig Jahren ist er am Locarno Film Festival Mitglied der Auswahlkommission und Präsentator der Semaine de la Critique und seit 2020 deren Leiter.
Hinweis: Die im Januar-Heft annoncierte Samurai-Trilogie von Hiroshi Inagaki mussten wir aus dem Programm streichen, weil wir uns mit dem Rechteinhaber nicht über die Konditionen einigen konnten.
Die Ausstellung:
Mythos Samurai - Die Sammlung Ann & Gabriel Barbier-Mueller
Bernisches Historisches Museum
bis 5.6. 2022
Ticket-Aktion: REX-Gäste erhalten 50% Rabatt auf ihren Ausstellungseintritt / BHM-Gäste erhalten CHF 5-Franken Reduktion auf ihr Kinoticket – während der Laufzeit der Filmreihe