
Michel Gondry – Handgemachte Traumwelten
01.05. – 04.06.2025
Er ist ein Weltenverbinder par excellence: Michel Gondrys Kreationen bewegen sich zwischen Hollywood und französischem Arthouse, kombinieren Langfilm und Musikvideo und vereinen Erzählkino mit visuellen Experimenten. Die Grenzen zwischen Realität und Traum sind dabei stets im Fluss. Wir zeigen sämtliche 13 Langfilme von Michel Gondry – vom Klassiker Eternal Sunshine of the Spotless Mind in restaurierter 4K-Fassung bis zum intimen Familienporträt L'Épine dans le cœur. Und wir bespielen die REX Box den ganzen Monat lang mit einer Auswahl seiner Musikvideos.
Michael Fleig
Als Michel Gondry 2001 mit der aberwitzigen Natur-vs.-Kultur-Satire Human Nature sein Spielfilmdebüt vorlegte, genoss er bereits den Status eines Auteurs. Galten Musikvideos anfangs primär als Marketing-Instrument, haben die Arbeiten des französischen Filmemachers massgeblich dazu beigetragen, sie als eigenständige Kunstwerke zu betrachten. Ende der 1980er-Jahre hatte Gondry damit begonnen, seine ersten Musikvideos zu inszenieren, darunter auch die für seine Band Oui Oui. Diese erregten die Aufmerksamkeit einer isländischen Sängerin namens Björk, die ihn daraufhin engagierte, das Video für «Human Behaviour» zu realisieren. Das Ergebnis bedeutete für beide nicht weniger als den Durchbruch zu internationalen Superstars. Gondry wurde schnell zu einem der gefragtesten Musikvideoregisseure überhaupt. Von den Hochglanz- und Bombastvideos, wie sie in den 1990er-Jahren üblich wurden, wusste er sich stets auf erfrischende Weise mit seinem spielerischen Lo-Fi-Stil abzuheben. Der Reiz von «Around the World» für Daft Punk etwa besteht darin, dass es aussieht wie eine Schulaufführung mit in hingebungsvoller Handarbeit erstellten Kostümen und Kulissen. Bei genauem Hinsehen und -hören offenbart sich dann der eigentliche Clou, der viele weitere von Gondrys Videos beschreibt: Die nur scheinbar amateurhafte Ästhetik steht in perfekter Übereinstimmung mit der Musik. Für verschiedene Dimensionen des Klangs findet der Regisseur unterschiedliche Entsprechungen im Bild, so dass er in die Tradition der Visuellen Musik der 1920er-Jahre eingeordnet wird.
Die skurrilen Welten und Gestaltungsverfahren seiner Clips pflegt Gondry in seinen Filmen, bei denen er meist selbst das Drehbuch schreibt, fortzuführen. Besonders deutlich zeigt dies Be Kind Rewind (2008). In dieser Ode an die Kreativität, die gerade durch äussere Beschränkungen aufblüht, reflektiert er seinen eigenen Stil am offenkundigsten. Mit einfachsten Mitteln, Ausrangiertem und zweckentfremdeten Alltagsgegenständen, werden hier bekannte Szenen aus Hollywood-Klassikern in sogenannten «sweded movies» nachgestellt. Was diese so charmant macht, funktioniert auch in anderen Werken von Gondry, die oft von visuellen Spielereien getragen werden. Dabei geht es eben nicht darum, eine perfekte Illusion hervorzubringen, sondern um Überraschungen und die persönliche Note. Raum zu lassen für spontane Einfälle, Chaos und Improvisation, das ist das Credo, das alle Gondry-Produktionen bestimmt.
Genau wie die Musikvideos beziehen Gondrys Langfilme ihr besonderes Flair daraus, dass sie gegen den Strom schwimmen. Während in den 2000er-Jahren computergenerierte Effekte zunehmend zum Standard der Filmproduktion wurden, setzte er weiterhin auf Handgemachtes. Gondry ist – genauso wie jede:r der Protagonist:innen in seinen Filmen – ein enthusiastischer Bastler und Tüftler. Nicht digitale Pixel, sondern simple Materialien wie Karton, Filz oder Zellophan und On-Set-Bauten in Kombination mit ausgeklügelten räumlichen Anordnungen und täuschenden Kameraperspektiven bringen das Publikum zum Staunen und Lachen. Die Boris-Vian-Verfilmung L’écume des jours (2013) sprudelt geradezu über vor solchen Trickstücken. Gondry vergleicht sich in dieser Hinsicht gerne mit einem Bühnenmagier, der seinen Zauber direkt vor den Augen des Publikums entfaltet. Seine Spezialeffekte werden meist weniger in der Postproduktion, sondern bereits beim Dreh, also vor der Kamera erzeugt. Spuren und Hinweise ihrer Fabrikation werden dabei nicht kaschiert, sondern stolz mit ausgestellt. Aber auch wenn die analoge Bricolage in seinem Gesamtwerk dominiert, sollte es nicht darauf reduziert werden. Im Digitalen zeigt sich Gondry ebenso immer wieder sehr versiert. So hat er z. B. für den Videoclip «Like a Rolling Stone» eine Technik entwickelt, die als Variante des berühmten Bullet-Time-Effekts gilt, wie er später im Blockbuster The Matrix zu sehen war.
Gondrys ausgefallene Art des Filmemachens, die er 2008 in Be Kind Rewind in überspitzter Form mit den «sweded movies» zum Thema gemacht hat, stiess auf so viel Anklang, dass daraus ein neuer Trend resultierte: Weltweit begannen Menschen ihre Lieblingsfilme zu «sweden» und online zu teilen; im kalifornischen Fresno wird sogar bis heute das Swedefest, ein ausschliesslich «sweded movies» gewidmetes Festival, veranstaltet. Ebenfalls bis heute existieren davon inspirierte Filmworkshops, die rund um den Globus unter dem Namen «L’usine de films amateurs de Michel Gondry» organisiert werden. Das Ziel ist keineswegs ein ernsthafter Film, sondern eine schöpferische Gruppenerfahrung. Michel Gondry, Do It Yourself (2023), dieser Titel eines Dokumentarfilms über den experimentierfreudigen Regisseur ist da äusserst passend.
Diese Reaktionen auf Be Kind Rewind korrespondieren daher gut mit dem anderen grossen Thema in diesem Film: Gemeinschaftsbildung. Das Konzept der «community» begann Gondry zu faszinieren, als er einige Jahre zuvor den Komiker Dave Chappelle dabei begleitete, wie er in einem New Yorker Stadtviertel eine riesige «Block Party», so auch der Titel der daraus entstandenen Dokumentation, mit allerlei Hip-Hop-Grössen wie den Fugees veranstaltete, und das er anschliessend in The We and the I (2012) weiterverfolgte. Das Ensemble dieses Films besteht ausschliesslich aus jugendlichen Laiendarsteller:innen, die Gondry in einem Communitycenter in Brooklyn gefunden hat. Während einer langen Busfahrt am letzten Schultag werden hier die Regeln des Dazugehörens oder Ausgeschlossenseins verhandelt.
Die kindliche Unbedarftheit und Begeisterung, auf die der Regisseur stolz ist, sich bewahrt zu haben, sind in seinem Werk stets spürbar. Seine Filme und Videos entführen das Publikum in surreale Welten, die gerade dadurch spektakulär werden, dass sie vermeintlich Bekanntes durch das Prisma eines naiven Staunen-Könnens präsentieren. Dass eine solche Einstellung zur Welt ungewöhnlich ist und Hürden mit sich bringen kann, davon erzählen dann auch viele von Gondrys Filmen, deren Protagonist:innen meist als seine Stellvertreter:innen fungieren.
Seine Erfahrungen als Regisseur reflektiert er nicht nur in Be Kind Rewind oder der Episode Interior Designdes Anthologiefilms Tokyo! (2008), sondern vor allem auch in seinem jüngsten Spielfilm, der Komödie Le livre des solutions (2023). Gondry, der lange sowohl Hollywood- als auch Arthousefilme drehte, vereint die zwei üblicherweise entgegengesetzt gedachten Figuren des kommerziellen Unterhaltungs- und des anspruchsvollen, eigene Visionen verwirklichenden Independent-Filmers. Die Superheldenverfilmung The Green Hornet (2011) ist bislang seine letzte Grossproduktion aus Hollywood, die unter Beweis stellt, wie sich auch in einem dem Rentabilitätsprimat untergeordneten Genrefilm die originären und beherzten Gondry-ismen durchsetzen können und für eine sehr amüsante Mischung aus Humor und Action sorgen.
Gondrys Protagonist:innen als Spiegelungen seiner selbst beziehen sich nicht nur auf seine Profession, sondern auch andere, biografische Aspekte. In La science des rêves (2006) erkundet er rückblickend seine (nie zustande gekommene) Beziehung zu einer Frau, deren wahren Gefühle ihm gegenüber er niemals klären konnte. Im Film verliebt sich die Hauptfigur Stéphane in seine Nachbarin, weil sie, wie er sagt, «Dinge mit ihren Händen macht». Aber auch ihm fällt es schwer, eine Beziehung aufzubauen, weil er sich unentwegt in kindlichen Traumwelten, fantastischen Erfindungen und der Frustration darüber, für sein kreatives Genie keine Anerkennung zu finden, verliert. So wird die Geschichte immer mehr zu einem tragikomischen Labyrinth aus Wunsch und Wahn, denn nur so lasse sich von den Irrungen und Wirrungen der Liebe erzählen. Auch die Bedeutung, die hier dem Träumen für das Leben des Protagonisten zugesprochen wird, repräsentiert wichtige Aspekte von Gondrys Schaffen, denn einen nicht geringen Teil seiner Film- und Videoideen entnehme er seinen Träumen.
Noch komplexer ist die Erzählung von Eternal Sunshine of the Spotless Mind (2004) angelegt, den viele Filmkritiker:innen zu den Meisterwerken des 21. Jahrhunderts zählen. Die Geschichte, mit der Gondry 2005 gemeinsam mit Charlie Kaufman und Pierre Bismuth den Oscar für das beste Original-Drehbuch gewann, über das Paar Joel und Clementine (für das Jim Carrey und Kate Winslet entgegen ihrer üblichen Rollen gecastet wurden) setzt ein faszinierendes Gedankenexperiment um: Was, wenn sich punktuell alle Erinnerungen an eine bestimmte Person aus dem Gedächtnis löschen liessen? Daher spielt der Film grösstenteils in Joels Erinnerungen. Dass die Handlung zwischen diesen rück- und vorwärts springt, macht sie zu einem grossen Puzzle, das viel Aufmerksamkeit einfordert – und den Film auch nach mehrfachem Sichten nicht langweilig werden lässt. Es lohnt sich, den unzähligen, bis ins kleinste Detail liebevoll gestalteten Elementen Beachtung zu schenken, denn letztlich fügt sich alles so schlüssig zusammen, wie es nur selten gelingt. Was den Film allerdings so einzigartig macht, ist, dass es zugleich gar nicht nötig ist, all die raffinierten Verbindungen zu durchschauen, um ihn zu geniessen. Hier zeigt sich einmal mehr Gondrys Erfahrung als Musikvideofilmer. Ähnlich den schönsten Videoclips, die keineswegs einer stringenten Narration bedürfen, funktioniert der Film ebenso ganz wunderbar als eine lose Reihung von stimmungs- und gefühlvollen Momentaufnahmen einer allem fantastischen Geschehen zum Trotz zutiefst lebensnahen Liebesgeschichte.
Unter den vielen Aspekten, die Gondrys Kreationen miteinander verbinden, ist dies wohl einer der wirkmächtigsten: Der Regisseur versteht es, seine Geschichten weniger über einen rein in Worten wiedergebbaren Erzählmodus zu vermitteln, sondern vielmehr auf die genuin filmischen Qualitäten der Kombination von Bild und Ton zu setzen (nicht von ungefähr problematisiert er in seinem Dokumentarfilm Is the Man Who Is Tall Happy? (2013) mit dem Philosophen Noam Chomsky den Unterschied zwischen Sprache und Visuellem). Daraus vermag er einen atmosphärischen, audiovisuellen Flow zu gestalten, von dem man sich nur allzu gerne mitreissen lässt.