Der Berner Rassismus Stammtisch präsentiert in Kooperation mit dem Kino REX aktuelle Werke schwarzer amerikanischer Filmschaffender. Es geht dabei nicht bloss um Black Cinema, sondern um einen Perspektivenwechsel: Die Filmreihe zeigt auf, wie weisse Privilegien und soziale Hierarchien filmisch reflektiert und hinterfragt werden können.
Erinnern Sie sich an Ihren ersten Kinobesuch? Wissen Sie, welchen Film Sie gesehen haben? Welche Erinnerungen werden wach, wenn Sie an die Filme Ihrer Kindheit denken? Hatten die Figuren dieselbe Hautfarbe wie Sie? Filme hinterlassen Eindrücke, Bilder und Geschichten, die wirkungsmächtig sind; sie schaffen Helden und Idole, bergen Identifikationspotenzial, erzeugen Stereotypen.
Der weisse Blick – the white man’s perspective – hat das Mainstream-Kino in den USA (und in Europa) seit jeher geprägt. Unser Verständnis von race und von weissen und schwarzen Identitäten ist geprägt von den Geschichten, in denen der «weisse» Held die Welt rettet – während ihn der «edle Schwarze» am Rande des Geschehens höchstens bei der Erfüllung der Mission unterstützt. Ist es blosser Zufall, dass wir uns an Sonny (Don Johnson) aus der Detektivserie Miami Vice erinnern mögen, nicht aber an den Namen seines schwarzen Partners? (Es war Ricardo Tubbs, gespielt von Philip Michael Thomas.)
Doch auch in der Nebenrolle bildet der Held – im Heer von Drogendealern, Möchtegern- und tatsächlichen Gangstern – eher die Ausnahme. So wie auch die selbstbewusste und unabhängige Jackie Brown (Quentin Tarantino, 1997) aus der Reihe der sonst stereotyp unterwürfig oder aufsässig dargestellten schwarzen Frauen tanzt. Die erste schwarze Frau, die je einen Oscar erhielt, war Hattie McDaniel für ihre Rolle als Dienstmädchen Mammy in Gone With The Wind (beste Nebendarstellerin). Ihr wurde übrigens – ebenso wie allen anderen schwarzen Darstellerinnen und Darstellern des Films – bei der Filmpremiere 1939 in Atlanta der Zutritt ins Kino verwehrt.
Filme widerspiegeln und stärken eine gesellschaftliche Ordnung, in der «weiss-Sein» als Norm gilt und gerade deshalb nicht als beachtenswerte soziale Kategorie wahrgenommen wird. Die «klassische» Rollenverteilung ist Ausdruck eines strukturellen Rassismus, der gesellschaftsprägend ist – nicht nur in den USA. Schwarzen Filmemachern wie Spike Lee ist es gelungen, vermeintlich statische Identitäten und herkömmliche Schemata rund um race zu dekonstruieren. Lee öffnete neue Sichtweisen auf gesellschaftliche Realitäten, jenseits der white man’s perspective, welche der Aufrechterhaltung des Status quo dient. Einem Status quo, der zulässt, dass täglich schwarze Menschen durch Polizeigewalt ums Leben kommen. Die Alltäglichkeit von strukturellem Rassismus wird etwa in Fruitvale Station, basierend auf der wahren Geschichte von Oscar Grant, bezeugt.
In den letzten Jahren wurden in den USA eine wachsende Anzahl von Mainstream-Filmen produziert, welche die geläufigen rassistischen Stereotypen gezielt hinterfragen. Einige davon werden in dieser Filmreihe gezeigt, ebenfalls erwähnenswert sind an dieser Stelle Moonlight (Barry Jenkins, 2016, Oscar für Besten Film 2017), Black Panther (Ryan Coogler, 2018) oder BlacKkKlansman von Spike Lee.
Wenn die Protagonisten nicht weiss sind und vom Rande der Handlung ins Zentrum rutschen – welche Rolle spielen dann Rassismus und die analytische Kategorie race? Wem gehört die Definitionsmacht über diese Bilder und Erzählungen? Justin Simien, der Regisseur des Films Dear white people berichtet etwa, dass viele Menschen allein schon am Titel seines Films Anstoss nahmen und diesen als Rassismus gegenüber Weissen empfanden.
Die Filmreihe des Berner Rassismus Stammtischs ist mehr als eine Reihe zu Black Cinema. Sie ist eine Einladung zu einem Perspektivenwechsel: nämlich «whiteness» als gesellschaftsprägende Kategorie anstatt als universalen Standard des filmischen Blicks zu begreifen. Die Filme dieser Reihe ermöglichen eine andere Lesart weisser Privilegien und zeigen auf, wie soziale Hierarchien filmisch reflektiert und hinterfragt werden können. Chris Washington, Protagonist des Films Get Out, macht es uns vor, wenn er sich aktiv gegen die hypnotische Macht der Bilder wehrt.
Berner Rassismus Stammtisch
Der Berner Rassismus Stammtisch lädt einmal monatlich zum Stamm und in unregelmässigen Abständen zu themenspezifischen Interventionen ein. Er stösst damit eine kritische und fundierte Auseinandersetzung mit Rassismus an. Das Kollektiv fördert selbstbestimmte öffentliche Räume für Menschen mit Rassismuserfahrungen und nimmt sich die Freiheit, Rassismus beim Namen zu nennen. Zu diesem Zweck pflegt der Stamm die frivole und kritische Vermischung von Forschung, Aktivismus und Kunst. Ob Kanakentribunal, Gruppentherapie oder Stammtischrunde – Wir müssen reden.
www.facebook.com/bernerrassismusstammtisch
Veranstaltungen zur Filmreihe
Auftakt
Do. 29.11. 18:00
Vor dem Film I Am Not Your Negro begeben wir uns mit Spezialistinnen und Spezialisten auf die Spuren von James Baldwin: beim Podiumsgespräch zu strukturellem Rassismus und Kinokultur jenseits der white man’s perspective. Mit: Benjamin Weiss (Regisseur, Zürich/Los Angeles), Franziska Meister (Journalistin, WOZ), Jovita dos Santos Pinto (Historikerin, IFZG, Universität Bern)
Spoken-Word
Mo 3.12. 18:00
Performance mit dem Spoken Word Künstler Renato Kaiser: weisse Privilegien, oder warum Rassismus alle etwas angeht.
Stammtischgespräch in der Rex Bar
Mo 10. 12. 20:30
Der Berner Rassismus-Stammtisch lädt zum Gespräch über Identität, rassistische Stereotypen und race im Film. Zusammen mit Vanessa E. Thompson (Goethe-Universität, Frankfurt a. M.) und Luvena Kopp (Universität Tübingen) blicken wir auf die Filmreihe zurück: Welche Eindrücke und Geschichten bleiben? Welche irritieren? Wo begegnen uns die Bilder des Films im Alltag? Und wer hat die Macht, unsere Heldinnen und Helden zu definieren?