Lauren Bacall
22.08. – 30.10.2024
Am Anfang steht eine der grossen Liebesgeschichten Hollywoods: Lauren Bacall (1924 – 2014) war 19 Jahre jung, als sie 1944 an der Seite von Humphrey Bogart mit To Have and Have Not ein fulminantes Debüt feierte. Glamourös und geheimnisvoll, mit rauchiger Stimme und selbstbewusster Ironie, wurde sie schnell zum Inbegriff der modernen amerikanischen Kinoheldin. Zum 100. Geburtstag lassen wir ihre einmalige Karriere mit 16 Filmen aus sieben Jahrzehnten Revue passieren.
Gerhard Midding
Ihre Auftritte veralten nicht. Lauren Bacall trägt ein Flair urbaner, weltgewandter Moderne in das Hollywoodkino hinein. Diese Schauspielerin blüht auf, wenn ihre Charaktere das Leinwandgeschehen mit aufreizender Ironie kommentieren. Ihr Selbstbewusstsein ist verlockend, und das wirkt noch heute unwiderstehlich: Als ich jungen Filmstudierenden To Have and Have Not vorführte, gerieten diese augenblicklich in den Bann ihres spielerischen, anzüglichen Kräftemessens mit Humphrey Bogart.
Bacall gelingt in diesem Film, was sonst nur wenige Darsteller:innen schaffen: Sie ist gleich mit ihrer ersten Kinorolle voll da. Dabei gleicht ihr Leinwanddebüt einer hübschen Hochstapelei. Sie ist eine kaum erfahrene Theaterschauspielerin und ein Fotomodell von gerade einmal 19 Jahren, als Howard Hawks sie 1944 engagiert, um in To Have and Have Not eine erotisch ausgefuchste Abenteurerin zu verkörpern. Eigentlich hat dessen damalige Frau sie entdeckt: auf dem Cover von «Harper’s Bazaar»; deren Kosenamen «Slim» wird sie später im Film tragen.
Die am 16. September 1924 in der Bronx als Betty Joan Perske geborene Anfängerin muss sich einem harten Training unterziehen, damit auf der Leinwand aus ihr Lauren Bacall werden kann. Angeblich zwingt sie Hawks sechs Monate lang, jeden Tag in einen Canyon hineinzuschreien, bis ihre Stimme tief und rau genug klingt. Er sucht eine Darstellerin, die auf der Leinwand so unverschämt wirkt wie Bogart – und findet unvermutet in ihr seine erste Idealbesetzung der Hawksian woman, der modernen Heldin, die später auch die feministische Filmkritik entzücken sollte. Wenn Bogart ihr eine Zigarettenschachtel oder einen Schlüssel zuwirft, fängt sie diese leichthändig in einer Einstellung. Hawks’ anderen Heldinnen gelingt dergleichen erst nach einem Schnitt.
In To Have and Have Not behauptet sie sich mühelos in der Männerwelt. Sie ist glamourös, selbstbewusst und willensstark, will sich nicht abfinden mit den traditionellen Klischees der schutzbedürftigen Unschuld oder des Sexobjekts. Sie kennt ihren eigenen Wert genau; Gefahren lassen sich mit ihr partnerschaftlich meistern. Ihre Liebesgeschichte mit Bogart bleibt auch danach in The Big Sleep (1946) ein spielerisch erotischer, dabei stets wechselseitiger Lernprozess. In Dark Passage (1947), nun unter der Regie von Delmer Daves, setzt das Gespann diese launigen Lektionen in Achtung und Verantwortung fort. Im ersten Teil dieses Film noir, der in subjektiven Einstellungen gedreht ist, weiss sie gekonnt die Kamera direkt zu adressieren. Ihre Wärme und Einfühlsamkeit, die sich klammheimlich in den Hawks-Filmen ankündigt, bricht sich jetzt noch stärker Bahn. Erst in ihrem vierten gemeinsamen Film Key Largo (1948) ändert sich der Tonfall, den sie bis dahin perfektioniert haben. Als Kriegswitwe, die liebevoll ihren Schwiegervater umsorgt, geht sie durch ein Wechselbad der Gefühle, als der ehemalige Vorgesetzte ihres Mannes (Bogart) sie besucht. Die Sympathie, die ihre Figur anfangs für ihn empfindet, wandelt sich allmählich in eine bebende romantische Bereitschaft. Als eine Gangsterbande sie alle als Geiseln nimmt, wird die Witwe dank ihres Idealismus und ihrer Zivilcourage zum moralischen Zentrum des Films.
Für das Kinopublikum überblenden sich die Filmfiguren mit den Privatpersonen. Die Segelyacht des Paares Bogart & Bacall trägt denselben Namen wie das Boot in Key Largo. Gemeinsam führen sie die Delegation von Hollywoodkünstler:innen an, die in Washington gegen den Untersuchungsausschuss von Senator Mc Carthy und die Schwarze Liste protestieren. Der Widerspruchsgeist, den sie mit Bogart teilt, bringt sie auf Kollisionskurs mit der Studioleitung von Warner Brothers, an die Hawks seinen Vertrag mit ihr verkauft hat. Sie wird insgesamt siebenmal suspendiert, weil sie unaufhörlich Rollenangebote zurückweist. Sie will nicht in Western auftreten, weil sie zeitgenössische Charaktere bevorzugt. Die Hauptrolle in The Fountainhead (1949), immerhin unter der Regie von King Vidor und an der Seite von Gary Cooper, lehnt sie ab, weil sie die Romanvorlage von Ayn Rand faschistisch findet.
Ihre Karriere hat etwas von einer Aufholjagd, nachdem ihr erster Film ohne Hawks und Bogart, The Confidential Agent (1945), bei Publikum und Kritik durchfällt. Immer wieder erklärt sie in Interviews mokant, die nächsten zwanzig Jahre habe sie damit verbracht zu beweisen, dass sie wirklich Talent besitze – tatsächlich aber wird sie rasch zu einer Leinwandautorität. Nach Ablauf ihres Vertrags mit Warner Brothers glänzt sie als nüchterne, letztlich aber doch romantische Glücksritterin in How to Marry a Millionaire (1953). Ihr Image ist bereits so gefestigt, dass ihr wie selbstverständlich die Führungsrolle im heiratswilligen Dreigestirn zufällt. Auch im Taumel der Gefühle in Douglas Sirks Melodram Written on the Wind (1956) behält sie einen klaren Kopf. Als ersten Film nach Bogarts Tod will sie 1957 Vincente Minnellis Ehekomödie Designing Woman drehen. Der Produzent traut ihr zunächst nicht zu, dass sie sich als Komödiantin bewährt. Aber sie setzt sich durch und kann als stilbewusste Designerin, die in jeder Szene in einer anderen Kreation auftritt, an ihre Erfahrungen in der Modewelt anknüpfen. In den 1960er-Jahren kommt sie dem Kino beinahe abhanden, weil sie sich nun als Theaterschauspielerin neu erfindet und Triumphe am Broadway und anderswo feiert. Ihre zweite Ehe mit dem Schauspieler Jason Robards scheitert an dessen Alkoholsucht. Wie ein Komet taucht sie 1966 in Harper auf, wo sie ihre Figur aus The Big Sleep sarkastisch variiert: als zwielichtige Auftraggeberin eines Privatdetektivs, die es kaum abwarten kann, Witwe zu werden. Ihre Züge haben eine gewisse Härte angenommen und ihre Stimme klingt noch trockener, was sich gut mit ihrer schneidenden Ironie verträgt.
1974 feiert sie in Sidney Lumets nostalgischer Agatha-Christie-Verfilmung Murder on the Orient Express ein prächtiges Comeback. Sie ist eine Meisterin der Täuschung, verkörpert eine Schauspielerin (wie übrigens auch oft auf der Bühne), die mit stählerner Eleganz die Fäden der Intrige zieht. Dank ihrer Souveränität sticht sie aus dem illustren Starensemble heraus, was ihr später noch oft gelingen wird. Zwei Jahre darauf absolviert sie einen unerwarteten Auftritt, der zu ihren stärksten überhaupt gehört. In Don Siegels winterlichem Western The Shootist behauptet sie sich als sittenstrenge Wirtin gegen ihren unliebsamen Gast John Wayne: Ihr liegt die Konfrontation mit willensstarken, ebenbürtigen Gegenspielern. Politisch waren die zwei einander spinnefeind, aber man spürt in jeder Szene, wie tief der Respekt ist, den ihre Charaktere füreinander entwickeln.
Fortan brilliert sie als Matriarchin, deren Glamour intakt geblieben ist. Im Beruf oder der mondänen Gesellschaft haben ihre Figuren eine Position erreicht, für die sie im Privatleben raubeinig den Preis zahlen. Für die Rolle der dominierenden Mutter, die in The Mirror Has Two Faces (1996) kokett mit ihren Töchtern rivalisiert, erhält sie ihre einzige Oscar-Nominierung. Verdient hätte sie den Preis gehabt, denn sie bringt eine wohltuende Note der Boshaftigkeit in die aufgekratzte romantische Komödie hinein. Ins neue Jahrtausend startet sie einerseits als Veteranin einer wechselvollen Karriere und zugleich als neugierige working actress. Regisseure wie Jonathan Glazer (Birth, 2004) und Paul Schrader (The Walker, 2007) besetzen sie aber nicht allein als lebende Legende, sondern als darstellerisches Kraftzentrum. In Rob Reiners Misery (1990) genügten ihr dafür eine Handvoll Szenen. In Birth und The Walker verkörpert sie bürgerliche Aristokratinnen, die bestens vernetzt sind und jeden Winkelzug des Lebens durchschauen. Ihre Lebensweisheiten bersten vor Sarkasmus und Selbstironie. «Marrying for money», sagt sie als Grande Dame der Washingtoner High Society in The Walker, «is the hardest fucking job there is.»
Bacalls Elan erlischt auch in der Abenddämmerung ihrer Karriere nicht. Aber wer hätte gedacht, dass sie sich noch auf einen Ausflug in den europäischen Kunstfilm einlassen würde? In Lars von Triers Dogville (2003) muss sie in einem minimalistischen Studiodekor agieren, wo die Räume nurmehr Grundrisszeichnungen sind und Wände erst gar nicht existieren. Es braucht schon eine Menge Abenteuerlust, sich einer solchen Herausforderung zu stellen. Aber daran hat es Lauren Bacall nie gefehlt: «I was lucky. I was never a has-been. I’m always a will-be.»