Zum 10. Todestag von Juliano Mer-Khamis, dem Gründer des Freedom Theatre im Flüchtlingslager von Jenin, zeigen wir den experimentellen Dokumentarfilm Unoccupied Territories I — and here I am des Berners Ronny Hardliz. Dazu hat Hardliz vier inhaltlich und formal ergänzende Filme ausgewählt, darunter der Tagebuchfilm Arna’s Children von Juliano Mer-Khamis und Michael Snows legendärer Experimentalfilm La région centrale.
Der Friedensaktivist, Regisseur und Schauspieler Juliano Mer-Khamis, Sohn einer jüdischen Mutter und eines palästinensischen Vaters, leitete seit 2006 das Freedom Theatre in Jenin. Er führte damit die Arbeit weiter, die seine Mutter Arna begonnen hatte und die er in seinem Tagebuchfilm Arna’s Children (2003) auf persönliche Art und Weise dokumentierte. Mit seinem Theater bot er Künstlerinnen und Künstlern ungeachtet von Nationalität und Geschlecht eine Bühne. Mit den Mitteln der Kunst spielte er gegen die Hoffnungslosigkeit und die Gewalt im Flüchtlingslager an. Zugleich vertrat er die Überzeugung, dass Theater so gewaltsam sein kann wie eine Schusswaffe. Am 4. April 2011 wurde er von einem maskierten Täter vor dem Theater erschossen. Die Hintergründe der Tat sind bis heute ungeklärt.
In Unoccupied Territories I — and here I am (2020) befasst sich Ronny Hardliz auf indirekte und filmisch experimentelle Weise mit der Okkupation Palästinas und der Theaterarbeit von Mer-Khamis. Sein Film ist eine dokumentarische Auseinandersetzung mit dem Stück «and here I am» von Hassan Abdulrazzak, in dem Ahmed Tobasi im Freedom Theatre seine eigene Wandlung vom Dschihadisten zum Schauspieler spielt. Zum Auftakt der Reihe hat Hardliz ein ästhetisches Manifest ausgewählt: Michael Snows 190-minütiger La région centrale (1971), ein Film, der ebenso wie Hardliz’ Werk von einer Maschine autonom gedreht wurde. Während Hardliz eine sich drehende Kamera einsetzt, um dadurch eine Kollaboration zwischen Schauspieler und Regisseur und so eine Übersetzung aus dem theatralischen in den kinematografischen Raum herzustellen, soll Snows speziell konstruierte Kameramaschine, einem Satelliten oder einer Sonde gleich, die Beschränkungen durch die menschliche Perspektive überwinden. Den beiden Werken ist gemeinsam, dass eine programmierte Kamera um ein im Film nicht sichtbares, unpersönliches Zentrum schwenkt. Das Motiv des Umkreisens ist auch zentral in Divina Obsesión (1999) von Volko Kamensky. Der Hamburger Regisseur verwandelt darin die von Kreiseln dominierte Strassenlandschaft irgendwo in der französischen Agglomeration in eine fremde Welt – ein sehr unterhaltender Experimentalfilm von zunehmend surrealer Komik. Die Reihe wird abgeschlossen mit The Freedom Bus (2019). Dieses dokumentarische Filmmaterial gewährt Einblick in ein aktuelles Projekt des Freedom Theatre, einer Tour mit einem Bus und Gästen durch besetzte Gebiete mit dem Ziel, die eigene Kultur zu erkunden und pflegen.
Ronny Hardliz (*1971) lebt in Bern. Er studierte Architektur und Urbanismus an der EPF Lausanne und der Carnegie Mellon University in Pittsburgh (PA) sowie Film am Pittsburgh Filmmakers. Als Künstlerstipendiat am Schweizerischen Institut in Rom begann er, den Begriff der Architektur künstlerisch zu erforschen. Er kuratiert Ausstellungen zu Kunst und Bau, stellt selbst regelmässig aus und ist aktiv an Diskursen zu Kunst-Raum-Medien-Öffentlichkeitsbeziehungen beteiligt. Sein aktueller Fokus liegt auf dem Dokumentarischen als dekolonisierende Kunstpraxis.