Vor 20 Jahren, genauer: am 1. Juli 1997, wurde die einst britische Kronkolonie Hongkong zu einer Sonderverwaltungszone Chinas. Dies hat das Leben der Menschen in Hongkong verändert – und die Filmindustrie dieser Metropole. In unserem Sommerprogramm blicken wir zurück auf das vielfältige Hongkong-Kino der goldenen Achtziger- und Neunzigerjahre.
Die Zeit zwischen Anfang Achtziger- bis Mitte Neunzigerjahre gilt zurecht als goldene Epoche des Hongkong Kinos. Damals gab es einen quantitativen und qualitativen Höhenflug bei den Produktionen, die Kinosäle der (noch) britischen Kronkolonie waren mit enthusiastischen Zuschauern übervoll, und in ganz Südostasien war das Label «Made in Hongkong» auch in der Filmbranche ein Exportschlager. Die Strahlkraft der örtlichen Kinematografie, deren erfolgreichste Regisseure bis zu drei Spielfilmen pro Jahr (!) drehten, reichte damals sogar bis in den Westen und beeinflusste besonders das US-Actionkino um die Jahrtausendwende.
Wie es typisch ist für ein kommerzielles Filmwesen, lockte auch das Hongkong Kino sein Publikum vor allem mit zwei Trümpfen: Mit zugkräftigen Stars – die parallel zur Filmkarriere oft auch Diven der lokalen Popmusik in kantonesischer Sprache waren – und mit gefestigten Genres. Längst waren es nicht mehr bloss Kung-Fu- und Schwertkampffilme, sondern auch Polizei-, Gangster- (z.B. The Mission) und Actionfilme, die in ganz Fernost Anklang fanden, aber auch durchgedrehte Komödien (wie Michael Huis Chicken and Duck Talk) oder schwelgerisch-romantisch beseelte Liebesfilme wie etwa der wunderbare Comrades: Almost a Love Story. Zur Identität des Hongkongstils gehört darüber hinaus eine eigene, eklektische Filmsprache, die Mut zu saturierten Farben hat, mit extremen Weitwinkelobjektiven oder einer Schrägstellung der Kamera operiert und einen vielfältigen, extravaganten Gebrauch von Zeitlupe macht, um nur einige Merkmale zu nennen.
Schwierig fällt es im damaligen Kino zudem, eine klare Grenze zwischen dem sich ernsthafteren Themen annehmenden Arthouse- und dem eskapistischen Mainstream-Kino zu ziehen. Die eben skizzierten stilistischen Eigenheiten sind in beiden Segmenten des Filmschaffens wiederzufinden, zumal oft die gleichen Regisseure und Techniker beschäftigt wurden. In der ertragreichen Blütezeit waren die finanzkräftigen Produktionshäuser zuweilen gewillt, auch in einem kommerziellen Film formale Experimente zu wagen oder dann eigenständige kleinere Projekte von jungen Regietalenten zu unterstützen. Einzigartig und weltweit fast einmalig in dieser Hinsicht ist auch die Tatsache, dass anspruchsvolle Arthouse-Filme häufig auf dieselben Stars, sprich Kassenmagnete, zurückgreifen konnten wie die grossen Genreproduktionen. Oft verzichteten die Stars im dafür auf einen Teil ihrer Gage. Der damals noch fast unbekannte und erst später zum internationalen Kultregisseur avancierte Wong Kar-wai konnte so zum Beispiel in seinem frühen Days of Being Wild mit Leslie Cheung, Andy Lau, Maggie Cheung und Jacky Cheung vier der damals populärsten Schauspielgrösse beschäftigen. Nochmals Leslie Cheung sowie Anita Mui, beide mittlerweile tragisch verstorbene Legenden auch der erwähnten Kantopop-Szene, treten auch in Stanley Kwans eindrücklichem Rouge auf, der zu den wichtigsten Arthouse-Filmen der ganzen Epoche zählt – und von niemandem geringeren als dem Kung-Fu-Helden Jackie Chan mitproduziert wurde.
Typisch für das Hongkongkino der Blütezeit ist nicht zuletzt eine nostalgisch-melancholische Grundstimmung, die ebenfalls sowohl den Kunstfilm als auch das Genrekino erfasst: Selbst die abgebrühtesten Actionhelden stehen, nachdem sie dutzendweise Gegner niedergemetzelt haben, an der Meeresbucht und blicken zu den Klängen sentimentaler Filmmusik mit glasigen Augen in die Ferne. Dafür gibt es mehrere Gründe. Einerseits war da die grassierende Zukunftsangst, die spätestens seit 1984, als die Rückgabe des kleinen Stadtstaates an die Volkrepublik China am 1. Juli 1997 beschlossen wurde, weite Teile der Bevölkerung ins Ungewisse schleuderte. Ausserdem war die Identitätsfrage für Hongkonger allgemein stets problembehaftet: Sie waren gefangen zwischen kolonialer Unterjochung sowie der westlichen und der chinesischen Kultur des Mutterlandes. Und in der Immigrations- und Hafenstadt lebten viele Familienmitglieder nur temporär vor Ort und geeint, bevor sie ins Ausland weiterzogen. Grossartig und sinnbildlich dafür die Szene in Clara Laws Autumn Moon, in der die fünfzehnjährige Protagonisten, die von einem japanischen Touristen gebeten wird, ihm ein typisches Restaurant zu zeigen, den jungen Mann in ein McDonalds führt: Hier fühle sie sich wohl, beteuert sie, hier habe sie schöne Erinnerungen an die mit der Familie gefeierten Geburtstage. Das ist Hongkong.
Till Brockmann
Der Autor ist externer Lehrbeauftragter am Seminar für Filmwissenschaft der Universität Zürich und arbeitet als Filmjournalist vornehmlich für die NZZ.
Das vorliegende Programm ist eine Auswahl aus einer 23 Filme umfassenden Hongkong-Filmreihe, die vom 1. Juli bis 22. September vom Filmpodium Zürich präsentiert wird – kuratiert von Lorenzo Berardelli. Eine weitere Auswahl ist auch im Kinok St. Gallen zu sehen.
Mit freundlicher Unterstützung von CreateHK.