Highsmith und das Kino
08.11. – 23.12.2023
Mit Tom Ripley schuf Patricia Highsmith eine Romanfigur wie gemacht für die grosse Leinwand. Das Kino liebt die abgründigen Plots, neurotischen Figuren und dunkle Psychologie ihrer Romane – Highsmith hingegen war von den Adaptionen nicht immer überzeugt. Wir zeigen 16 Verfilmungen, alles Zeugnisse einer komplexen Beziehung.
Elisabeth Bronfen
Seit der Veröffentlichung ihres ersten Romans «Strangers on a Train» im Jahr 1950 wird Patricia Highsmith als Meisterin des psychologischen Thrillers gefeiert. Weder politische Korruption noch Polizeigewalt stehen im Zentrum ihrer Kriminalgeschichten. Auch nicht ein hartgesottener Privatdetektiv, wie wir diesen aus der amerikanischen Hard-Boiled-Tradition der 1930er- und 1940er-Jahre kennen. Von der existentialistischen Literatur beeinflusst, rückt sie vielmehr die dunklen Abgründe des menschlichen Daseins in den Vordergrund: verbotene Fantasien, gefährliche Begehren, Wut, Eifersucht sowie den moralischen Konflikt, der sich aus einem Spiel mit Identitäten ergibt. Die dramatische Spannung besteht darin, wie ihre Figuren sich entwickeln werden, nachdem sie sich in den Bereich der Kriminalität begeben haben. Oft sind es Zufälle oder eine unglückliche Fügung der Ereignisse, welche zu einem Mord führen. Doch für alle, die alsdann in den Fall verstrickt werden, hat dieser Fehltritt erschütternde Konsequenzen.
Wenngleich in vielen ihrer Geschichten der Mörder schliesslich seine gerechte Strafe findet, ist die Grenze zwischen Tätern und Opfern eine fliessende. Der kriminelle Akt macht die Gewalt sichtbar, die dicht unter der Oberfläche eines vermeintlich friedlichen Alltags immer schon gelauert hat. In Highsmiths Welt ist niemand unschuldig. Es gibt lediglich die Unterscheidung, dass einige ihrer Figuren von Anfang an bereit sind, ihren gefährlichen Fantasien freien Lauf zu lassen. Dabei handeln sie oft für andere, die sich diese Tat nicht zutrauen. Oder sie stiften andere zu Grenzüberschreitungen an, von denen diese vorher nie geträumt hätten, dass sie dazu fähig wären. Eben weil Highsmiths zwielichtige Held:innen verbotene Wünsche verkörpern und diese für jene Figuren manifest machen, die sie in ihre Machenschaften involvieren, eignen sich ihre Romane so gut für die Kinoleinwand. Auch wir sind in den Bann einer Lust am Transgressiven gezogen, die wir uns in unserer Realität nicht erlauben würden. Wir aber dürfen uns mit beiden Positionen identifizieren: den moralisch verwerflichen Held:innen und denjenigen, die sich von diesen zu verbotenen Handlungen verführen lassen.
Bietet eine Retrospektive die Möglichkeit, die Verfilmungen von Highsmiths Roman als Serie zu betrachten, fällt auf: Bestimmte Romane werden nicht nur mehr als einmal verfilmt. Unter all ihren moralisch zweifelhaften Helden hat keiner die Einbildungskraft von Regisseur:innen so angeregt wie Tom Ripley. Seinen ersten Auftritt hat dieser charmante Psychopath, der sich von einer Sekunde auf die nächste in einen kaltblütigen Mörder verwandeln kann, im Roman «The Talented Mr. Ripley» (1955). Am Anfang der Geschichte schlägt er sich noch mit Betrügereien im kleinen Stil in New York City durch. Bald aber lenkt ein zufälliges Treffen mit dem Schifffahrtsmagnaten Herbert Greenleaf seine kriminelle Energie in weit erfolgreichere Bahnen. Es wird beauftragt, dessen Sohn Dickie davon zu überzeugen, sein Leben des Müssiggangs in Mongibello aufzugeben und nach Amerika zurückzukehren, um in der Firma seines Vaters zu arbeiten.
Anstatt seine Aufgabe zu erfüllen, entwickelt Ripley eine homoerotische Obsession mit dem jungen Faulenzer, die ihn wörtlich dazu verleitet, in dessen Fussstapfen zu treten. Der Mord auf offenem Meer, den Tom aus Wut darüber begeht, weil sein neuer Freund, seiner überdrüssig, ihn wieder loswerden will, erlaubt ihm, dessen Identität anzunehmen. Weil er sowohl die Stimme des Verstorbenen perfekt nachahmen kann wie auch die Unterschrift auf seinen Schecks, kommt er in den Genuss der Vorteile eines luxuriösen Lebensstils. Um seine grandiose Hochstapelei am Leben zu erhalten, muss Ripley zwar weitere Morde begehen, doch seine vielen kriminellen Talente erlauben ihm, in Europa seinen amerikanischen Traum zu verwirklichen. Dort wird er zu dem eleganten Kunstliebhaber, von dem er in seiner Heimat nur träumen konnte. Er wird aber auch zu dem, was Patricia Highsmith, die ihm eine fünfbändige Ripley-Serie widmet, für sich selbst wählte: ein amerikanischer Expat.
Auf der Kinoleinwand erhält Tom Ripley viele Gesichter, die ersichtlich machen, wie unterschiedlich dieser Antiheld sich als Filmfigur einsetzen lässt. In René Clements Plein Soleil (1960) ist Alain Delon ganz der zynische Nutzniesser, der sich von seiner Freundschaft mit Philippe Greenleaf ein Leben ohne Verpflichtungen verspricht. Er verfolgt kein Ziel, ausser sich den Zwängen des bürgerlichen Lebens zu widersetzen. Die kalte Schönheit Delons hat von Anfang an etwas Schreckliches. Der Streit mit dem Freund auf offenem Meer wird als Kampf auf Leben und Tod dargestellt, in dem sich die Nichtigkeit der Existenz beider Figuren erkennen lässt. Für diesen Tom Ripley bedeutet der Mord, den er aus dem Affekt heraus begeht, einen Akt radikaler Subjektivität. Sein Schicksal berührt uns als Beispiel existentialistischer Hoffnungslosigkeit.
In seiner Verfilmung The Talented Mr. Ripley (1999) rückt Anthony Minghella hingegen den Charme seines verklemmten Hochstaplers in den Vordergrund. Ihm geht es darum, den emotionalen Zwiespalt zu beleuchten, in dem ein junger Amerikaner gefangen ist, der sein homosexuelles Begehren nicht offen ausleben kann. Wir sollen Sympathie haben mit dem liebenswürdigeren Matt Damon, der sich akribisch auf seinen Auftrag vorbereitet und in Mongibello alles daransetzt, den attraktiven und zugleich herablassenden Dickie (Jude Law) zu verführen. Wir sollen den Genuss, den sein neues Leben ihm bietet, mit ihm teilen. Wir sollen aber auch Mitleid dafür haben, dass er in seiner verzweifelten Suche nach Liebe eine Kette an Morden ausführt. Und sein Talent, sich in seinem Wunsch nach Selbstbestimmung durchzusetzen, sollen wir bewundern. Matt Damon steht in einer langen Tradition amerikanischer Träumer, die auf ihr Recht, ihr Glück zu verfolgen, bestehen, koste es, was es wolle.
Die Verfilmungen von Ripley’s Game, dem dritten Roman aus Highsmiths Serie, rücken einen älteren Tom in den Fokus und geben damit dem Psychogramm des Killers eine neue Wendung. In Der amerikanische Freund (1977) spielt Dennis Hopper einen verzweifelten Aussenseiter, der die Gemälde eines für tot gehaltenen Malers, der inkognito in New York lebt, in Hamburg verkauft. Wim Wenders setzt ganz auf die Männerfreundschaft, die sich zwischen Ripley und Jonathan (Bruno Ganz) ergibt, nachdem Tom diesen zum Mord an einem amerikanischen Gangster verleitet hat. Zugleich ist die Verfilmung von Wenders eine Hommage an andere amerikanische Freunde: an die Regisseure Nicholas Ray und Sam Fuller, die beide mitspielen, wie auch an den Maler Edward Hopper, dessen Gemälde als Vorbilder für die visuelle Komposition vieler Szenen in dieser Verfilmung dienen. Dennis Hopper, der als Einziger in Hamburg einen Stetson trägt, scheint am Ende seiner Hoffnungen zu sein. Wenders aber entwirft für die kriminellen Machenschaften seines abgefuckten Hochstaplers eine Kulisse, die seine Cinephilie für amerikanische Ikonen des Classic Hollywood zelebriert: die Jukebox, den Coca-Cola-Automaten, den Pooltisch und den Ford Thunderbird.
Nochmal einmal anders erscheint der charmante Psychopath bei Liliana Cavani, die Ripley’s Game 2002 verfilmt. Der elegante und zugleich gerissene John Malkovich lässt die schillernde Figur mit zwei Gesichtern wieder aufleben. In seiner kostbar ausgestatteten Villa im Veneto hat er sich genüsslich in seiner Existenz als amerikanischer Expat eingerichtet. Mit einem treffsicheren Gespür für Raritäten kauft er für seine Gattin Luise ein exquisites Cembalo und erfreut sich an den kulinarischen Talenten seiner dafür stadtbekannten Haushälterin. Doch eine zufällige Beleidigung seines Nachbarn Jonathan lässt die schelmische Bosheit, die seine kultivierte Glätte verdeckt, aufflackern. Auch er verwickelt den todkranken Freund in ein gefährliches Geschäft mit der Mafia, um ihm dann doch in letzter Minute zur Seite zu stehen. Für den von Malkovich verkörperten erfahrenen Kriminellen ist das Morden eine Kunstform.
In allen Ripley-Verfilmungen führen die gemeinsam ausgeführten Morde zu einer unerwarteten Männerfreundschaft, die mit jeder dramatischen Wende noch intensiver wird. Die Geliebten oder Ehefrauen der durch Ripley verführten Männer hingegen werden aus diesem verhängnisvollen Bündnis ausgeschlossen. Der gemeinsame Nenner, der sich in dieser Retrospektive erkennen lässt, besteht in der Verführbarkeit zum Verbrechen, mit der wir uns aufgrund der subtilen Psychologisierung der Helden identifizieren sollen. Was sich aber auch zeigt, ist die Verachtung, die Tom gegenüber all den weiblichen Figuren an den Tag legt, die seinen dunklen Talenten in die Quere kommen. Die Männerfreundschaft benötigt – so Highsmiths böse Haltung – eine gute Prise Misogynie.
Sein Interesse für den Doppelgänger als Verkörperung eines geheimen Begehrens hat Alfred Hitchcock dazu angeregt, Highsmiths Debütroman «Strangers on a Train» ein Jahr nach dessen Erscheinen auf die Leinwand zu bringen. Das verhängnisvolle Treffen zwischen dem Tennisspieler Guy Haines und dem reichen Psychopathen Bruno Antony lässt ein Bündnis zwischen zwei Fremden entstehen, welches in der Verfilmung noch deutlicher von einem klandestinen homoerotischen Begehren geprägt ist. Zwar führt auch das Spiel, welches Bruno mit dem arglosen Guy spielt, dazu, dass sie aneinandergekettet sind. In diesem Fall aber gelingt es ihm nicht, den Freund zu einem kriminellen Akt zu verführen. Vielmehr führt Bruno den Mord an Guys treuloser Gattin aus, den deren Gatte sich lediglich herbeigewünscht hat. Auch bei Hitchcock läuft die verhängnisvolle Männerfreundschaft auf einen Kampf um Leben und Tod hinaus: nicht aber auf offenem Meer, sondern – und darin lässt sich die Unterschrift dieses Meisters des psychologischen Thrillers erkennen – auf einem Karussell. Es ist ausser Kontrolle geraten, weil die Polizei bei der Jagd auf den Verdächtigen auf einem Rummelplatz, statt ihn zu treffen, den Mann erschiesst, der das Karussell steuert.
Bei einer seriellen Betrachtung von Patricia Highsmiths Verfilmungen scheint ihr zweiter Roman «The Price of Salt», den sie unter Pseudonym veröffentlichte, aus der Reihe zu fallen. Die dort geschilderte lesbische Liebesgeschichte verarbeitet nicht nur die erotischen Erfahrungen der Autorin. Es ist auch der einzige Roman ohne tragischen Ausgang. Obgleich Todd Haynes sich in seiner Verfilmung zudem nicht an Hitchcock, sondern an den Melodramen der 1950er-Jahre orientiert, macht eine Retrospektive sichtbar, dass Carol (2015) durchaus Highsmiths Obsession mit transgressiven Freundschaften fortsetzt. Auch die von Cate Blanchett gespielte elegante Hausfrau Carol Aird lässt ihrem im Amerika der Nachkriegszeit verpönten lesbischen Begehren freien Lauf und verführt die junge Fotografin Therese (Mara Rooney) zu einer klandestinen Liebesaffäre. Dabei flackert die Ähnlichkeit zu dem Spiel, welches Ripley mit seinem Nachbarn eingeht, ebenfalls auf. Auch Carol ist furchtlos und entschlossen, die jüngere Frau in ihr verbotenes Begehren zu verwickeln. Die ahnungslose Therese, die anfänglich von Carols charismatischer Erscheinung verwirrt ist, lässt sich ihrerseits immer mehr auf diese gefährliche Frauenfreundschaft ein.
Auch in dieser Geschichte gibt es einen störenden Dritten – den Gatten, dessen Carol sich ebenfalls entledigen will. Zwar benötigt sie dafür keinen Mord, stattdessen wird das Ehebündnis zwischen den beiden zugrunde gerichtet und jede Erinnerung an ein vorheriges geglücktes Familienleben in dem Haus in den Suburbs sinnbildlich als Leiche begraben. Mit den anderen Highsmith-Verfilmungen zusammen gedacht, rückt Carol jedoch auch eine entscheidende Anomalie ins Blickfeld: Das lesbische Paar darf trotz der Verfolgung durch das Gesetz überleben. Nicht ein Kampf um Leben und Tod wird uns als Katharsis angeboten. Wir dürfen uns vielmehr an dem liebevollen Blick erfreuen, mit dem Cate Blanchett bis zum Schluss auf das Objekt ihrer Begierde schaut, während sie Therese immer weiter in ihren Bann zieht.