Das Kino REX und das Lichtspiel starten im September in den 8. Zyklus der gemeinsamen Reihe Filmgeschichte. Zehn Expertinnen und Experten beleuchten in 75-minütigen Vorlesungen und am Beispiel von 20 Filmen zentrale Aspekte der Filmgeschichte. Nach wie vor gilt: Wir präsentieren Filmgeschichte im Kinoformat.
Das Programm ist chronologisch aufgebaut: Mit einem Fokus auf die Jahrzehnte wird die Filmgeschichte in Beziehung zu Faktoren wie Ästhetik, Ökonomie, Technologie und sozialgeschichtlichem Kontext gestellt. Der Zeitgeist sowie das gesellschaftliche Klima der einzelnen Dekaden zeigen sich exemplarisch in der Filmgeschichte und werden anhand von filmischen Beispielen durch anerkannte FilmwissenschaftlerInnen und FilmhistorikerInnen vermittelt.
Zeiten
Vorlesungen jeweils mittwochs 18:15 Uhr abwechselnd im Lichtspiel und REX. Filmvorführungen mittwochs um 20:00 (Lichtspiel und REX) sowie als Wiederholung sonntags 15:30 (nur REX).
Eintrittspreise
Vorlesungen: CHF 14.-
Filmvorstellungen: CHF 17.-/15.-
Kombiticket Vorlesung plus Filmvorstellung (nur an der Kinokasse erhältlich): CHF 24.-
1. Vorlesung
Das Kino bis 1919: Die Geheimnisse des frühen Lichtspiels
David Landolf
Lichtspiel, Mi. 9.9.20, 18:15
Seit 125 Jahren werden bewegte Bilder aufgenommen und projiziert. Herkömmliches Celluloid ist anschaulich und handfest. Wir lüften die Geheimnisse des Lichtspiels: Welches sind unsere Voraussetzungen, damit wir bewegte Bilder wahrnehmen können? Wie sind die Geräte zur Aufnahme und Wiedergabe von Filmen aufgebaut? Wie sahen die Produktionsbedingungen für die frühen Filme aus? Welche Meilensteine markieren die ersten Jahrzehnte der Kinematographie?
David Landolf
David Landolf ist dipl. Elektroingenieur ETH und leitet die Kinemathek Lichtspiel in Bern, welche er im Jahr 2000 gegründet hat. Er ist Fachvertreter im Filmnetzwerk von Memoriav, Filmschadensexperte des Schweizerischen Kinoverbandes und hat verschiedene Lehraufträge.
2. Vorlesung
Die 20er-Jahre: Zwischen Schock und Euphorie
Johannes Binotto
REX, Mi. 7.10.20, 18:15
So wild war Film vielleicht nie mehr: In den 20er-Jahren explodiert das Kino geradezu mit all seinen technischen Innovationen und ästhetischen Experimenten, vom aggressiven Schnitt oder der entfesselten Kamera wie in Dziga Vertovs Mann mit der Kamera (1929) bis zum verstörenden Ton und schreiender Farbe. Doch zusammen mit der neuen Technik kommen auch die neuen Schrecken ins Kino: in Kriminalfilmen wie Fritz Langs Spione (1927) bevölkern die Traumata des vergangenen und die Bedrohungen des nächsten Weltkriegs die Leinwand – ambivalente Spektakel einer zerrissenen Ära.
Johannes Binotto
Dr. Johannes Binotto ist Kultur- und Medienwissenschaftler, Dozent für Filmtheorie an der Hochschule Luzern Design+Kunst und Mitarbeiter am English Department der Universität Zürich, ausserdem freier Filmpublizist, Videoessayist und ständiger Autor der Zeitschrift Filmbulletin. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Phänomene des Unheimlichen und der Zusammenhang zwischen Film, Technik und Psychoanalyse. www.medienkulturtechnik.org
3. Vorlesung
Die 30er-Jahre: Farbfilmtechnologie zwischen Hollywood, Avantgarde und Totalitarismus
Noemi Daugaard
Lichtspiel, Mi. 4.11.20, 18:15 - Stream
In den 1930er-Jahren konsolidiert sich die Farbe als Teil der Filmindustrie: während Technicolor die Produktionsabläufe und das Genreverständnis in Hollywood neu ordnet, werden in den USA und Europa Alternativen verhandelt–von der Avantgarde genauso wie von totalitären Kräften. Michael Curtiz’ pre-code Mystery-Film Mystery of the Wax Museum und Zoltan Kordas Abenteuerfilm The Four Feathers stellen Beispiele des Genrekinos dar, in denen die Farbverwendung eng verknüpft ist mit dem jeweiligen historischen und soziopolitischen Kontext.
Noemi Daugaard
Noemi Daugaard hat Filmwissenschaft, Anglistik und Kunstgeschichte an der Universität Zürich studiert. Als Doktorandin im SNF-Forschungsprojekt Filmfarben. Technologien, Kulturen, Institutionen am Seminar für Filmwissenschaft der Universität Zürich untersucht sie die Entstehung früher Farbfilmtechnologien (1890-1940) und deren Wechselbeziehungen mit kulturellen Normen, diskursiven Praktiken und ideologischen Strömungen. Seit 2020 arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin für die Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW) in Bern.
4. Vorlesung
Die 40er-Jahre: Jenseits von Hollywood
Brigitte Paulowitz
REX, Mi. 2.12.20, 18:15 - Stream
Während des zweiten Weltkrieges führten sowohl Krieg als auch Zensur dazu, dass deutlich weniger amerikanische Filme gezeigt werden konnten. Gleichzeitig stieg das Bedürfnis nach Unterhaltung. Ein Aufschwung verschiedener nationaler Produktionen war die Folge, so auch in der Schweiz. Mit Unter den Brücken und Les dames du Bois de Boulogne stehen zwei europäische Filme aus den letzten Tagen des Krieges im Zentrum, ergänzt mit dem Schweizer Kurzfilm Freie Täler von 1947, welcher ein Streiflicht auf hiesige Propaganda wirft.
Brigitte Paulowitz
Brigitte Paulowitz ist Filmrestauratorin und Leiterin der Filmsammlungen der Kinemathek Lichtspiel. Nach einem Studium der Germanistik hat sie am George Eastman House die L. Jeffrey Selznick School of Film Preservation absolviert und seit 2000 in unterschiedlichen Archiven und Filmlaboren weltweit gearbeitet. Ihre Schwerpunktgebiete sind Amateur-und Auftragsfilm. Sie unterrichtet in Thailand und der Schweiz zum Thema Filmarchivierung.
5. Vorlesung
Die 50er-Jahre: Verlorene in einer perfekten Welt
Bernhard Giger
Lichtspiel, Mi. 13.1.21, 18:15 - Stream
Die 1950er-Jahre waren ein prüdes Jahrzehnt. Der wirtschaftliche Aufschwung liess die Menschen die Mühsal und das Elend der Kriegsjahre vergessen, ein strenger moralischer Kodex definierte die Vorstellungen von Glück und Wohlstand. Die Welt war perfekt, alles Abseitige ausgegrenzt. Das Kino zelebrierte Unverbindlichkeit und Verzettelung. Aber es hatte bereits seine Aussenseiter, Propheten gewissermassen des gesellschaftlichen Umbruchs zehn Jahre später. Dafür stehen Filme wie Douglas Sirks The Tarnished Angels oder Il grido von Michelangelo Antonioni, die von den Verlorenen und Entwurzelten erzählten, von den Schattenfiguren der perfekten Welt.
Bernhard Giger
Bernhard Giger, 1952 geboren in Bern, nach einer Fotografenlehre Programmmitarbeiter des Berner Kellerkinos, Film- und Fernsehkritiker und ab 1979 Redaktor zuerst siebzehn Jahre bei «Der Bund» und danach zehn Jahre bei der «Berner Zeitung» in den Bereichen Medien, Kultur und Stadtpolitik. Seit 1981 Spielfilme für Kino und Fernsehen, unter anderen Winterstadt (1981), Der Gemeindepräsident (1984), Tage des Zweifels (1991), Oeschenen (2004), mehrere Dokumentarfilme. Von 2009 bis 2020 Leiter des Kornhausforums Bern.
6. Vorlesung
Die 60er-Jahre: Neue Wellen und Produktionen aus Europa
Elke Kania
REX, Mi. 10.2.21, 18:15 - Stream
Die 1960er Jahre können als ein Jahrzehnt des filmischen Erneuerung bezeichnet werden. In einer Verabschiedung vom überkommenen Hollywood-Studiosystem und ausgehend von der französischen Nouvelle Vague entwickelten sich in zahlreichen Ländern der Welt Neue Wellen, die den Autorenfilm stärkten und inhaltliche wie formale Innovation beförderten. Filmproduktionen finden nun oft in europäischen Ländern statt und ermöglichen so interessante Erscheinungsformen wie Sergio Corbuccis Italo-Schneewestern in den Alpen von Cortina d’Ampezzo Il grande silenzio. Die 60er Jahre sind auch das Jahrzehnt des Kalten Krieges mit seinem Wettlauf um die Vorherrschaft im All, was Stanley Kubrick in 2001– A Space Odyssey meisterlich auslotete.
Elke Kania
Studium der Kunstgeschichte, Philosophie und Filmwissenschaft in Aachen, Berlin und Rom mit einer Magisterarbeit über Derek Jarmans Film Caravaggio. Tätigkeit als Kunst- und Filmkritikerin für zahlreiche Zeitungen, als Kuratorin sowie als Dozentin für Filmanalyse und Kunstwissenschaft an Hochschulen in Deutschland. 2004-2006 kuratorische Arbeit im museum franz gertsch, Burgdorf/CH; seit dieser Zeit regelmässig Tätigkeiten für kulturelle Kinoinstitutionen in Bern. Seit 2007 arbeitet Elke Kania für die Julia Stoschek Collection, Düsseldorf/D, eine Privatsammlung für zeitbasierte Kunst, und seit 2016 als Kustodin am Kunsthaus NRW Kornelimünster/D. Der Schwerpunkt ihres forschenden Interesses liegt auf der Verbindung von bildender Kunst & filmischem Bewegtbild in Ausstellungen, Screenings, Publikationen, Vorträgen und Moderationen.
7. Vorlesung
Die 70er-Jahre: Eine Zeit des Umbruchs
Till Brockmann
Lichtspiel, 10.3.21, 18:15 - Stream
Die 70er waren in vieler Hinsicht eine Zeit des Umbruchs. Die radikaleren Filmexperimente und ihre Autoren, die in den 60er vor allem von Europa aus das Kino grundsätzlich aufmischten, wurden teilweise vom Mainstream einverleibt oder fanden selbst Wege, in ästhetisch und politisch milderen Prägungen auch kommerziellen Bedürfnissen Rechnung zu tragen. Die Durchdringung der Konkurrenten Kino und TV wurde stärker und vielschichtiger und trotz der neuen Dominanz Hollywoods konnte manche regionale Kinematografien neu hervortreten. Mit Don't Look Now präsentieren wir herausragendes British Cinema und mit Le fantôme de la liberté das Durchhaltevermögen des ingeniösen Autorenkinos.
Till Brockmann
Studium der Geschichte, Japanologie und Filmwissenschaft an der Universität Zürich. Seit zwanzig Jahren in verschiedenen Funktionen am Seminar für Filmwissenschaft der Universität Zürich tätig. Daneben unterrichtet Till Brockmann an der European Film Actor School und der F+F Schule für Kunst und Mediendesign in Zürich. Seit 1995 als Filmjournalist und Filmkritiker mehrheitlich für die NZZ tätig. Seit vielen Jahren Mitglied der Auswahlkommission der Semaine de la Critique am Filmfestival Locarno und bei der Duisburger Filmwoche tätig.
8. Vorlesung
Die 80er-Jahre: Das Ende der Geschichte(n)? Attraktionen, Zitate und soziales Zeitkolorit
Franziska Heller
REX, Mi. 7.4.21, 18:15 - Stream
«I’ll be back» – ein Jahrzehnt, das uns ganz unterschiedliche Zitatformen beschert. Während sich in Spielfilmen nummernhaftes Attraktionskino findet, zeigen sich im Dokumentarischen Experimente, welche die filmische Wiedergabe von Geschichte(n) reflektieren: Agnès Varda bringt in Mur murs (1981) Mauerbilder über soziale Zustände zum Sprechen. The Atomic Cafe (1983) ist aus Propagandafilmen der 1940/50er Jahre zusammenmontiert. Mit sehr schwarzem Humor dekonstruiert er so atomare Paranoia.
Franziska Heller
PD Dr. Franziska Heller; Privatdozentin an der Universität Zürich (UZH); 2019–2020 Gastprofessorin an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF in Potsdam (DE), gefördert von der FONTE-Stiftung. 2015/2016 und 2018/2019 Vertretung von Prof. Dr. Barbara Flückiger an der UZH. 2018 Habilitation mit der Schrift «Update! Film- und Mediengeschichte im Zeitalter der digitalen Reproduzierbarkeit», 2020 erschienen im Brill/Wilhelm Fink Verlag; Open Access Publikation gefördert vom SNF, abrufbar unter: https://www.fink.de/view/title/55287
9. Vorlesung
Die 90er-Jahre: Zwischen Nostalgie und Neuanfang
Selina Hangartner
Lichtspiel, Mi. 5.5.21, 18:15 - Stream
Die 90er im Zeichen der Nostalgie: Just, als das Digitale dem analogen Kino den Rang abzulaufen drohte, entstanden Filme über das Hollywood vergangener Tage, wie Altmans The Player. Während Blockbusters mit computergenerierten Bildern vor dem Millennium Untergangsstimmung verbreiten, nähert sich das europäische Kino dieser im reduzierten Tempo. Kieślowski mit Trois couleurs: Rouge etwa, den er auch im Untergang enden lässt, aber mit dem er auch auf der Schwelle hin zum europapolitischen und filmkulturellen Neuanfang steht.
Selina Hangartner
Selina Hangartner arbeitete nach ihrem Studium von 2015-2020 als wissenschaftliche Assistentin und Dozentin am Seminar für Filmwissenschaft der Universität Zürich. Dort beschäftigte sie sich auch mit dem Verfassen ihrer Dissertationsarbeit; genauer mit dem Ironischen und Selbstreflexiven im frühen Tonfilm. Seit 2020 ist sie Co-Chefredakteurin bei der Schweizer Filmzeitschrift «Filmbulletin», wo sie am liebsten Kritiken zu Horrorfilmen und True-Crime-Serien verfasst.
10. Vorlesung
Die 00er-Jahre: Der Animationsfilm der Nullerjahre
Christian Gasser
REX, 2.6.21, 18:15
Die 2000er Jahre sind die Jahre des Animationsfilms: Kommerziell dank Blockbustern wie Shrek, inhaltlich dank dokumentarischer Filme wie Persepolis oder Waltz With Bashir, künstlerisch dank einer kreativen Explosion des kurzen Animationsfilms und technisch dank neuer digitaler Möglichkeiten, die zur Auflösung der Grenze zwischen Animations- und Realfilm führen. Abgerundet wird dieses animierte Panorama der Nullerjahre durch die Langfilme Waltz With Bashir von Ari Folman und Paprika von Satoshi Kon.
Christian Gasser
Christian Gasser ist Kulturwissenschaftler, Theoriedozent in der Studienrichtung Animation der Hochschule Luzern – Design & Kunst, Schriftsteller und freier Publizist mit Fokus auf Animationsfilm und Comics. Er ist ausserdem Mitherausgeber der Comiczeitschrift STRAPAZIN und Mitglied der BAK-Kommission für die Animationsfilmförderung. Letzte Buchveröffentlichungen (Auswahl): «animation.ch» (Benteli Verlag); «Comics Deluxe» (Christoph Merian Verlag); «Rakkaus (finnisch: Liebe)» (Roman, Rowohlt Verlag).
Die Stummfilmvorstellungen mit Christian Henking und Wieslaw Pipczynski am Piano werden unterstützt von Migros-Kulturprozent.