Der Franzose Jacques Tourneur (1904-1977), ein Regisseur mit Flair für den diskreten Charme des Übersinnlichen, hat in Hollywood stilbildende Genre- und B-Movies wie Cat People (1942), Out of the Past (1947) oder I Walked With a Zombie (1943) realisiert. Aus der umfassenden Retrospektive, die ihm das Filmfestival Locarno dieses Jahr widmete, haben wir neun Filme ausgewählt: subtil inszenierte Licht-und-Schatten-Spiele, die dank ihrer formalen Raffinesse noch immer modern wirken.
Das Hören und Sehen gehorcht anderen Gesetzen bei ihm. Sein Kino entzieht sich den traditionellen Sehgewohnheiten; ihm eignet ein Flair des Entrückten, des Vorbehalts. Seine Triebfeder sind Zweifel, Verwirrung und Unruhe. Die entschlossene Tatkraft, der auftrumpfende Tonfall und der Optimismus, der das amerikanische Genrekino weitgehend bestimmt, sind bei ihm gedämpft. Seine Filme steuern auf ihre Höhepunkte ruhig zu, Schrecknissen nähern sie sich überlegt.
Die Vergangenheit ist stets machtvoll präsent in Jacques Tourneurs Filmen. Die Charaktere tragen bereits ein Schicksal in sich, müssen gravierende Erfahrungen verwinden. Out oft he Past ist ein Film, der geradezu obsessiv an die immer gleichen Schauplätze zurückkehrt; mit der vergeblichen Hoffnung, das Vergangene endlich abzuschütteln. Die Angst vor dem Anderen (oder vor sich selbst) ist bei Tourneur nie unbegründet. Die Welt gerät in seinen Filmen leicht aus den Angeln, denn seine Figuren sehen sich rätselhaften Kräften ausgesetzt, über die sie keine Kontrolle haben: gerade so wie die Bälle, die fröhlich auf der Fontäne des Springbrunnens aus The Leopard Man tanzen müssen.
Wo das Hollywoodkino üblicherweise auf resoluter Präsentation besteht, setzt er Ellipsen. Sein Stil ist taktvoll, diskret. Der Tod ereilt seine Figuren ausserhalb des Bildkaders. Er setzt auf die Magie der Suggestion. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte das Publikum in Night of the Demon das Monster nie zu Gesicht bekommen. Ihm hätte der Schwebezustand der Beklemmung genügt, das Dämmerlicht, in das er die Seelen taucht.
Bei den Proben verlangte er oft, die Schweinwerfer im Studio auszuschalten. Dann liess er nur ein paar Kerzen brennen, um seine Schauspieler in die richtige Stimmung zu versetzen. Sie sollten in einem verhalteneren Register sprechen, als sie es gewohnt waren. Er wusste, dass sich im Halbdunkel ihre Mimik und Gestik, ihr Timbre und die Lautstärke unweigerlich verändern und ihre Bewegungen zögerlicher sein würden. Cat People und I Walked With a Zombie sind gleichsam geflüsterte Horrorfilme; nicht einmal in Tourneurs Western müssen die Helden ihre Stimme heben, um dem Gesetz Nachdruck zu verleihen. Die Tonspur seiner Filme entwirft akustische Landschaften.
Bei Tourneur muss man den Raum hören können, denn er ist meist in tiefes Dunkel getaucht. «I like the dark, it's friendly», sagt Simone Simon in Cat People und spricht damit für viele Tourneur-Figuren, deren eigentliches Lebenselement die Dunkelheit ist. In seinem Universum ist das Licht ein kostbares Gut, das überlegt eingesetzt werden will. Seine Quellen sind im Bildkader meist zu sehen, was die Szenerien beglaubigt und den Schrecken, dem die Figuren ausgesetzt sind, in der Realität verwurzelt. Das Licht setzt dieser Regisseur mal als skulpturales, mal als strukturierendes Element ein. Es dient als Beweggrund für Kamera und Figuren oder als dramaturgisches Instrument: Die Exposition von Nightfall macht dem Filmtitel alle Ehren. Während es sonst zu den Gepflogenheiten des Film noir gehört, einen urbanen Schauplatz mit einer Montage von Leuchtreklamen einzuführen, passt Tourneur genau den Moment ab, in dem sie eingeschaltet werden. In Out of the Past verleihen Tourneur und sein Kameramann Nicholas Musuraca dem Helldunkel eine Undurchdringlichkeit, die den Widerspruch zwischen Unschuld und Erfahrung, zwischen Lebenswillen und Todessehnsucht unterstreicht.
Dabei nimmt er die Arbeit im Genrekino selbstbewusst in Angriff: als eine Disziplin, die es zunächst einmal zu beherrschen gilt. Wenn die Kamera zu Beginn von Berlin Express von einem Abteilfenster zum nächsten voranrückt, um die unterschiedlichen Figuren vorzustellen, signalisiert sie dem Publikum, dass es einen versierten, vielleicht sogar brillanten Zugfilm erwarten darf. Tourneurs Filmanfänge sind eher Einstimmungen als Expositionen, die das Publikum aber bereits auf eine andere Spur bringen: Seine Filme respektieren das Recht des Zuschauers auf Abwechslung. Sie setzen die Konventionen nicht ausser Kraft, sondern frischen sie auf. Auf dem streng kodifizierten Terrain der Genres schafft er Platz für das Ungeläufige. Out of the Past und Nightfall sind überraschend pastorale Films noir, die sich wesentlich in der Natur zutragen.
Was aus seinen Filmen im Gedächtnis bleibt, sind einerseits atmosphärische Eindrücke: Seelenlandschaften. Zugleich bleiben prägnante Momente und Bilder präsent. Aus Cat People wären dies beispielsweise die Szene, in der sich Jane Randolph vor dem Schatten des Raubtiers nachts in das Schwimmbecken rettet, oder ihr Heimweg, der sie durch lauter Licht-Pools führt und auf eine vertrackte Pointe zuläuft, in der sich ein Fauchen als das Öffnen einer Bustür entpuppt. Aus The Leopard Man wäre es wahrscheinlich vor allem der aufreizende Klang der Kastagnetten, der eine Tänzerin in allen Lebenslagen begleitet und dann einen verblüffend postumen Nachhall erfährt. Aus I Walked With a Zombie bleibt sicher die Montage im Gedächtnis, in der eine Voodoo-Puppe von magischen Kräften angezogen wird, während gleichzeitig eine Untote ihr Schlafzimmer verlässt und derselben Anziehung zu folgen scheint.
Tourneur erschafft für jeden Film eine eigene Welt, die er kunstvoll mit Bedeutung auflädt. Jede Lampe ist sorgsam ausgewählt, die Füsse der Badewanne aus Cat People sind als Raubtierkrallen gestaltet. Spiegel sind so platziert, dass sich in ihnen die Personenkonstellationen nicht einfach verdoppeln, sondern neu formiert werden. Die Requisiten gewinnen stets Doppelwertigkeit. Die Harfe im Schlafzimmer der untoten Ehefrau in I Walked With a Zombie schillert zwischen Evidenz und Symbolkraft.
Tourneur konstruiert diese Welten auch deshalb so genau, so ziseliert, um die Präsenz einer anderen erahnen zu lassen. Wie ein Schatten ist die Welt der Geister und Schemen in der realen gegenwärtig. In Interviews hat er immer wieder betont, wie sehr er von der Existenz des Übernatürlichen überzeugt ist. Aber er konnte seine Augen auch nicht verschliessen vor dem Grauen, das in der äusseren Wirklichkeit aufgehoben ist: Der Zug aus Berlin Express passiert in Deutschland lauter zerbombte Grossstädte, die als reale Geisterstädte an die Verheerungen des 20. Jahrhunderts gemahnen.
Gerhard Midding
Gerhard Midding ist freier Autor für Tageszeitungen, Zeitschriften, Radio und Fernsehen. Er lebt in Berlin.
Gekürzte Fassung des Texts, der im Filmbulletin 5/2017 erschienen ist.
Die Retrospektive wurde kuratiert von Roberto Turigliatto und Rinaldo Censi.
Mit freundlicher Unterstützung des Filmfestivals Locarno.