Komplexe Bilder 9: Seen from a certain distance
56', Digital HD, OV. Regie Lina Selander / Stefanos Tsivopoulos / Pieter Geenen.
Auf dem Programm stehen Arbeiten von Lina Selander, Stefanos Tsivopoulos und Pieter Geenen, letzter wird bei der Vorstellung anwesend sein. Einführung: Maia Gusberti, anschliessend Diskussion mit Rachel Mader (Hochschule Kunst & Design, Luzern). Studierende erhalten reduzierte Tickets für CHF 10.–
When the Sun Sets It’s All Red, Then It Disappears
Lina Selander, 2008, 9 Min., Digital HD, Schwedisch/d
In When the Sun Sets It’s All Red, Then it Disappears erforscht Lina Selander Bilder und Geschichten aus dem Jahr 1968. Fakt und Fiktion, Poesie und Politik verschmelzen, wenn sich fotografierte Filmsequenzen mit Bildern aus ihrem privaten Familienalbum, Dokumentationen der Studentenrevolten in Paris und Stockholm und Pressefotos eines schwimmenden Mao Zedong abwechseln. Der Titel und einige Stills stammen aus La Chinoise von Jean-Luc Godard. Durch die Montagetechnik, die der von Godard ähnlich ist, entwirrt Lina Selander die Dialoge und Bilder des Films und setzt sie in einer Form, die neue Bedeutung erzeugt, wieder zusammen.
Selanders Arbeit kann als ein Versuch gesehen werden, die vielschichtigen Bedeutungen und Mehrdeutigkeiten der Bilder zu entdecken. Das wirft Fragen zum Verhältnis von Geschichtsschreibung und Fotografie, Wort und Bild auf. Der Kamerablitz brennt Löcher durch die abwechselnde Montage von Standbildern und bewegten Bildern. In der Mitte jeder möglichen Aussage befindet sich eine verstörende weisse Leerstelle – wie ein Versuch, auszudrücken, was wir nicht sehen können.
Lina Selander (*1973) lebt und arbeitet in Stockholm. Ihre Filme und Installationen können als Kompositionen oder Gedankenmodelle gelesen werden. Sie untersucht die Beziehungen zwischen Erinnerung und Wahrnehmung, Fotografie und Film sowie Sprache und Bild. Einzelausstellungen: Kunst Haus Wien; Argos - Zentrum für Kunst und Medien, Brüssel; Iniva, London; Moderna Museet, Stockholm; VOX - Centre de l’image contemporaine, Montréal. Lina Selander war die schwedische Vertreterin bei der Biennale Venedig 2015.
Amnesialand
Stefanos Tsivopoulos, 2010, 21 Min., Digital HD, E
Amnesialand stellt sich eine zukünftige Welt vor, in der es keine Bilder mehr gibt. Ein Ereignis hat digitale und physische Archive ausgelöscht und damit das Bedürfnis der Menschen nach Veranschaulichung und Dokumentation der Realität herausgefordert. Die visuelle Geschichte, wie wir sie kennen, wurde gelöscht, und die mündliche Überlieferung traf auf eine Lücke, die sich rückwärts in die Zeit bewegt und die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verwischt. Amnesialand setzt ein schwarzes Loch voraus, in dem die Vergangenheit stattfand, und es ruft unterschiedliche Wahrnehmungen des Zeitablaufs und seiner physischen und psychischen Überbleibsel, die wir Archive nennen, hervor.
Sind Archive Orte des Erinnerns oder eher des Vergessens? Erzählt ihr Inhalt die Wahrheit oder nur die eigene Geschichte? Wessen Geschichte? Ist das sogenannte kollektive Gedächtnis von visuellen Bildern abhängig, und in welche Richtung spiegeln diese Bilder unsere Erinnerung wider – vorwärts oder rückwärts? In Amnesialand, ursprünglich für die Manifesta 8 in Murcia, Spanien, konzipiert, nimmt Stefanos Tsivopoulos eine fotografische Sammlung aus den Archiven der Hafenstadt Cartagena zum Ausgangspunkt für eine poetische Untersuchung zu Fragen des Erinnerns und Vergessens, zur Rolle, die Bilder bei der Konstruktion von Geschichte spielen, und zu ihrem Verhältnis zu Realität und historischer Wahrheit.
Stefanos Tsivopoulos (*1973) ist ein Künstler und Filmemacher, der ausgiebig in Kunstinstitutionen und an Filmfestivals weltweit ausgestellt hat. Tsivopoulos' Filme zeichnen sich durch eine ausgeprägte filmische Bildsprache aus, die poetische und allegorische Erzählungen mit einigen der drängendsten gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Fragen verbindet, die unsere Welt heute bestimmen. Im Jahr 2013 vertrat er Griechenland auf der 55. Biennale von Venedig mit der Multimedia-Installation History Zero; ausserdem nahm er an der documenta 14 in Kassel (2017), an der 2. Biennale in Peking (2014) und an der Manifesta 8 in Murcia (2010) teil. Tsivopoulos' Arbeiten wurden in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt, u.a. in der Staatsgalerie Stuttgart, im Kunsthaus Zürich, im MACBA Barcelona, in der Tate Modern in London oder im Centre Pompidou in Paris.
Mirador
Pieter Geenen, 2016, 26 Min., Digital HD, OV/e
Rund um den südlichsten Zipfel Europas scheinen sich der europäische und der afrikanische Kontinent fast zu berühren. Das erklärt die Bedeutung der Strasse von Gibraltar als wichtige Migrationsroute, nicht nur für die dort gesichteten Zugvögel, sondern vor allem auch für Flüchtlinge, die versuchen, Europa zu erreichen. Am Aussichtspunkt Mirador del Estrecho versammeln sich Touristen, um die atemberaubende Landschaft zu fotografieren und den Blick auf Afrika zu kommentieren, der ihnen geboten wird.
Beim Mirador geht es um das Zuschauen und den Akt des Zuschauens selbst. Wie stumme Zeugen blicken der Tourist, der Einwanderer, das Publikum und die Kamera auf die Landschaft und indirekt aufeinander. Sie blicken zur anderen Seite, auf einen Kontinent, der wie eine Fata Morgana erscheint. Die verführerische Kraft des Bildes verkauft uns allen einen Traum, während diese Situation von «wir» gegen «sie» und «hier» gegen «dort» einen Spiegel hochhält und einen postkolonialen Blick in einer Welt zunehmender Mobilität und Globalisierung offenbart.
Pieter Geenen (*1979) lebt und arbeitet in Brüssel, hat einen Master in Fotografie und ist Absolvent des Postgraduiertenprogramms Transmedia an der Sint-Lukas Brüssel. In seinem audiovisuellen Werk setzt er sich mit suggestiven und evokativen Qualitäten der Landschaft in Bezug auf die persönliche und kollektive Erinnerung und Identität auseinander. Zusammen mit den Künstlern und Filmemachern Sirah Foighel Brutman, Eitan Efrat und Meggy Rustamova gründete er Messidor, eine kollektive Plattform für Reflexion, Produktion und Vertrieb.