Das neue Evangelium
Deutschland/Schweiz 2020, 107', DCP, OV/d/f. Ab 6 (12) J., Regie Milo Rau. Drehbuch Milo Rau. Mit Yvan Sagnet, Marcello Fonte, Enrique Irazoqui, Maia Morgenstern.
Film, Kampagne, Performance - und ein Manifest der Solidarität: Im süditalienischen Matera verfilmte Milo Rau die Passion Christi als Revolte von Migranten, die in Italien für einen Hungerlohn Tomaten ernten. Schweizer Filmpreis 2021 für den Besten Dokumentarfilm.
Was würde Jesus im 21. Jahrhundert predigen? Wer wären seine Apostel? Gemeinsam mit dem Politaktivisten Yvan Sagnet, der Jesus verkörpert, erschafft Rau eine zutiefst biblische Geschichte. Nach Jesus’ Vorbild kehrt Yvan als «Menschenfischer» in das grösste Flüchtlingslager bei Matera zurück. Unter den dort Gestrandeten findet er seine «Jünger». Verzweifelte, die über das Mittelmeer nach Europa gekommen sind, um auf den Tomatenfeldern Süditaliens versklavt zu werden und dort unter unmenschlichen Bedingungen in regelrechten Ghettos zu hausen – allein in Italien sind das mehr als 500’000 Menschen. Gemeinsam mit ansässigen Kleinbäuerinnen und -bauern begründen sie die Revolt of Dignity, eine politische Kampagne, die für die Rechte von Migrantinnen und Migranten kämpft.
Am Film haben Flüchtlinge, Aktivist*innen und Bürger*innen der europäischen Kulturhauptstadt 2019 Matera mitgewirkt, ausserdem Marcello Fonte (europäischer Filmpreis als bester Darsteller 2018), Enrique Irazoqui (Darsteller des Jesus in Pier Paolo Pasolinis Il Vangelo secondo Matteo), Maia Morgenstern (Darstellerin der Maria in Mel Gibsons The Passion of Christ) und der Liedermacher Vinicio Capossela.
«So gelingt Milo Rau eine reizvoll eigenwillige Hybridform aus Dokumentar- und Spielfilm, aus Pamphlet und Passion, Arthouse und Aktionismus, inklusive eines Making-of. Grossartig, wenn der alte Bürgermeister von Matera erklärt, dass er nicht den Pontius Pilatus, sondern lieber den Simon von Cyrene spielen möchte, der Jesus das Kreuz tragen hilft. Und die Casting-Szene, in der ein junger Typ sich als Soldat bewirbt, weil er es ‹als Katholik› interessant fände, ‹den heiligen Gott zu töten und zu massakrieren›, ist fast zu gut, um wahr zu sein. Mit sadistischer Brutalität führt er an einem Stuhl vor, wie er den schwarzen Jesus peitschen und demütigen würde. Eine plötzliche Entladung von hemmungslosem Rassismus.» Christine Dössel, Süddeutsche Zeitung