Der Portugiese Miguel Gomes (Tabu) sorgte in Cannes mit seinem sechsstündigen Dreiteiler Arabian Nights für Furore. Ein poetisches Epos, das den Wahnwitz von Finanzkrise und Verschuldung in Gelächter auflöst.
In Portugal, einem europäischen Staat in der Krise, beabsichtigt ein Regisseur, fiktive, von der Misere seines Landes inspirierte Geschichten zu schreiben. Unfähig einen Sinn in seiner Arbeit zu finden, flüchtet er jedoch feige und überlässt seinen Platz der bezaubernden Scheherazade. Sie braucht viel Mut und Esprit, um den König nicht mit den bedrückenden Geschichten dieses Landes zu langweilen! Im Laufe der Nächte löst die Verzweiflung die Angst, und die Entzückung die Verzweiflung ab. Sie teilt ihre Geschichten in drei Kapitel auf und beginnt folgendermassen: «Man behauptet, oh glückseliger König, dass in einem traurigen Land unter allen Ländern....»
Teil 2: Der Verzweifelte
Scheherazade erzählt, wie die Verzweiflung die Menschen heimsucht: «Oh glückseliger König, man behauptet, dass eine traurige Richterin zu weinen beginnt, anstelle das Verdikt zu sprechen, wenn die Nacht der drei Mondscheine hereinbricht. Ein Mörder auf der Flucht irrt mehr als vierzig Tage durchs Hinterland, träumt von Huren und Rebhühnern und versteckt sich, um der Polizei zu entkommen. Sich an einen tausendjährigen Olivenbaum erinnernd, erzählt eine verletzte Kuh traurige Geschichten. Die Bewohner eines Hochhauses in einem Vorort retten Papageien und urinieren in die Aufzüge, umgeben von Toten und Geistern, aber auch von einem Hund der...». Und als der neue Tag sich ankündigt, schweigt Scheherazade. «Was für Geschichten! Wenn das so weiter geht, besteht kein Zweifel,N dass meine Tochter geköpft wird!», denkt der Grosswesir, Vater von Scheherazade, in seinem Palast in Bagdad.
«Arabian Nights war ein insgesamt sechsstündiger Herzwärmer, eine fantastisch wuchernde Geschichtensammlung, in der dem europäischen Elend von Staatsschulden und Spardiktat die Juwelen der Imagination umgehängt wurden. (..) Ja, der Filmemacher Miguel Gomes ist ein begnadeter Fabulierer und Entertainer, er geht durchs Foyer des Sichtbaren in den Tresor des Mythischen und arrangiert die Welt so, dass sie zu gleissen beginnt. (...) Dabei war er ohne Ideen aufgebrochen. Als die EU und ihre Banker Portugal im Jahr 2013 nahelegten, die Ausgaben zu kürzen und den Sozialstaat runterzuschrauben, zog er in der Hoffnung auf Geschichten los, die erst noch geschehen mussten. Er stiess auf Faits divers; ein Junge etwa brannte einen halben Wald nieder, weil ihn seine Freundin für einen Feuerwehrmann verlassen hatte – im Film wird die traurigschöne Geschichte anhand von verstümmelten Liebes-SMS erzählt. Mit dabei auf der Reise durch das Land in der Krise hatte Gomes die Bände von «Tausendundeiner Nacht». Aus dem Film, der erst kein Film war, wurden alsbald drei Filme, in denen Gomes die Motive aus dem Märchenbuch auf die Realität anwendet. Also schilderte uns Scheherazade die Merkwürdigkeiten, die sich am Rand von Europa zutragen.»
(Pascal Blum, «Tages-Anzeiger»)