Der Portugiese Miguel Gomes (Tabu) sorgte in Cannes mit seinem sechsstündigen Dreiteiler Arabian Nights für Furore. Ein poetisches Epos, das den Wahnwitz von Finanzkrise und Verschuldung in Gelächter auflöst. 12. November um 20:00: 1001 Nacht-Vorpremiere des ersten Teils Der Ruhelose mit anschliessendem Publikumsgespräch von Schauplatz International mit Miguel Gomes
In Portugal, einem europäischen Staat in der Krise, beabsichtigt ein Regisseur, fiktive, von der Misere seines Landes inspirierte Geschichten zu schreiben. Unfähig einen Sinn in seiner Arbeit zu finden, flüchtet er jedoch feige und überlässt seinen Platz der bezaubernden Scheherazade. Sie braucht viel Mut und Esprit, um den König nicht mit den bedrückenden Geschichten dieses Landes zu langweilen! Im Laufe der Nächte löst die Verzweiflung die Angst, und die Entzückung die Verzweiflung ab. Sie teilt ihre Geschichten in drei Kapitel auf und beginnt folgendermassen: «Man behauptet, oh glückseliger König, dass in einem traurigen Land unter allen Ländern....»
Teil 1: Der Ruhelose
Scheherazade erzählt von den Sorgen, welche das Land plagen: «Oh glückseliger König, man behauptet, dass in einem traurigen Land unter den Ländern, wo man von Walen und Meerjungfrauen träumt, die Arbeitslosigkeit sich ausbreitet. An manchen Orten brennt der Wald in der Nacht trotz des Regens und an anderen können Männer und Frauen es kaum erwarten, sich mitten im Winter ins Wasser zu stürzen. Manchmal sprechen die Tiere, obwohl es unwahrscheinlich ist, dass jemand ihnen zuhört. In diesem Land, in dem die Dinge nicht so sind wie sie scheinen, reiten die Mächtigen auf Kamelen und verbergen ihre schmachvolle Erektion. Sie warten sehnlichst auf den Moment der Steuereintreibung, um einen Zauberer bezahlen zu können, der....». Und als der neue Tag sich ankündigt, schweigt Scheherazade.
«Arabian nights war ein insgesamt sechsstündiger Herzwärmer, eine fantastisch wuchernde Geschichtensammlung, in der dem europäischen Elend von Staatsschulden und Spardiktat die Juwelen der Imagination umgehängt wurden. (..) Ja, der Filmemacher Miguel Gomes ist ein begnadeter Fabulierer und Entertainer, er geht durchs Foyer des Sichtbaren in den Tresor des Mythischen und arrangiert die Welt so, dass sie zu gleissen beginnt. (...) Dabei war er ohne Ideen aufgebrochen. Als die EU und ihre Banker Portugal im Jahr 2013 nahelegten, die Ausgaben zu kürzen und den Sozialstaat runterzuschrauben, zog er in der Hoffnung auf Geschichten los, die erst noch geschehen mussten. Er stiess auf Faits divers; ein Junge etwa brannte einen halben Wald nieder, weil ihn seine Freundin für einen Feuerwehrmann verlassen hatte – im Film wird die traurigschöne Geschichte anhand von verstümmelten Liebes-SMS erzählt. Mit dabei auf der Reise durch das Land in der Krise hatte Gomes die Bände von «Tausendundeiner Nacht». Aus dem Film, der erst kein Film war, wurden alsbald drei Filme, in denen Gomes die Motive aus dem Märchenbuch auf die Realität anwendet. Also schilderte uns Scheherazade die Merkwürdigkeiten, die sich am Rand von Europa zutragen.»
(Pascal Blum, «Tages-Anzeiger»)