Das Museum für Kommunikation befasst sich in seiner Ausstellung «Schweinehunde und Spielverderber» mit Hemmungen. Wir zeigen dazu vier Filme, die Hemmschwellen bewusst überschreiten.
Ulrich Schenk
Wenn im Kinosaal das Licht erlöscht, fallen die Hemmungen. Gebannt schauen wir auf die Leinwand und lassen uns verführen. Wir wohnen Situationen und Vorkommnissen bei, die wir selbst nie so erleben werden. Wir schlüpfen in fremde Wohnungen, setzen uns an fremde Tische, hüpfen in fremde Betten. Wir sind Mitwisser bei fiesen Intrigen und Banküberfällen, Komplizinnen bei Hinterhalten und skrupellosen Machenschaften, Zeuge von ungezügelter Lust und brutaler Gewalt. Wir schauen zu, im Schutz der Dunkelheit, hemmungslos. Denn das ist unsere Rolle im Kino. Voyeuristisch zu sein. Zu vergessen, wo wir sind und wer wir sind.
Der dunkle Kinosaal ist ein Raum grenzenloser Freiheit, nicht nur für Gehemmte und Verklemmte, Träumerinnen und Möchtegerns. Amos Vogel beschrieb das Kino als Ort «der Subversion, Zerstörung oder Veränderung der bestehenden Werte, Institutionen, Sitten und Tabus». Geltende gesellschaftliche Regeln und Normen hebt das Kino, zumindest vorübergehend, auf. Das Was-wäre-wenn wird für die Dauer der Vorstellung zur Realität. Gleichzeitig führt uns das Kino aber auch vor Augen, was passiert, wenn Hemmungen wegfallen und uns keine innere Bremse vor unüberlegten Worten und leichtsinnigen Taten schützt. Das ist nicht nur schön. Aber schön aufregend. Und wir schauen mit einem wohligen Schaudern dabei zu.
Auch die Protagonistinnen und Protagonisten in unserer kleinen Filmreihe überschreiten Hemmschwellen und geraten dadurch an die Ränder einer funktionierenden Gesellschaft: Eine Gruppe junger Leute befreit den inneren Idioten und lehnt sich so gegen Konventionen auf (Idioten). Das Ehepaar Martha und George macht sich und seine Gäste nach Strich und Faden fertig (Who’s Afraid of Virginia Woolf). Der Biedermann William Foster driftet auf einem unfreiwilligen Fussmarsch durch Los Angeles in die Gewalttätigkeit ab (Falling Down). Und der skrupellose Serienmörder Ben philosophiert über Gott und die Welt und lässt uns teilhaben an seinem grausamen Tageswerk (C’est arrivé près de chez vous). Werte wie Rücksicht, Solidarität oder Empathie zerbröckeln. Verantwortungsbewusstes Zusammenleben sieht anders aus. Und wir fläzen uns lustvoll in den Kinosessel, ergötzen uns am ungehemmten Treiben – und sind erleichtert, dass wir die Konsequenzen nicht tragen müssen, die sich unweigerlich daraus ergeben.
Sind sie auf den Geschmack gekommen? Gut.
Ulrich Schenk ist Ausstellungskurator am Museum für Kommunikation. Am Montag, 2. März, wird er zum Auftakt der Reihe ins Thema einführen.
«Schweinehunde und Spielverderber. Die Ausstellung über Hemmungen», bis 19. Juli 2020 im Museum für Kommunikation.