Mit Some Like It Hot und The Seven Year Itch machte Billy Wilder (1906–2002) Marilyn Monroe zum Weltstar. Mit Meisterwerken wie Double Indemnity, Sunset Boulevard und The Apartment, für den er 1960 gleich drei Oscars erhielt, schrieb er Filmgeschichte. Für den romantischen Zyniker und Feinmechaniker des Sarkasmus war das Kino eine Überlebenskunst. Mit unvergleichlichem Perfektionismus setzte er sein Credo in Film um: «Du sollst nicht langweilen!»
Die Komik ist bei einem Meister wie ihm nicht nur eine Frage der Technik, sondern des Temperaments, ja, der Lebenseinstellung. Kein Regisseur verstand es wie Billy Wilder, aus dem Stegreif witzig zu sein. Als sein japanischer Kollege während einer Oscar-Verleihung einmal den Umschlag nicht schnell genug öffnete, konterte er das maliziös mit: «Pearl Harbour habt ihr aber schneller gefunden!» Er schien nie um ein Bonmot, um die treffende Replik verlegen, wenn es galt, auch eine dramatische Situation zu parieren.
Im Leben stellte er jene Schlagfertigkeit unter Beweis, mit der er insbesondere die Nebenfiguren in seinen Filmen grosszügig ausstattete. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er in Deutschland als Colonel der Abteilung für Psychologische Kriegsführung für die politische Umerziehung der vormaligen Herrenrasse zuständig. Als er die Aufführung der Passionsspiele in Oberammergau freigeben sollte, stellte er eine Bedingung: «Aber nur, wenn Sie echte Nägel verwenden!» Diese Haltung ist auch in A Foreign Affair (1948) zu spüren, der vergnüglichsten Entnazifizierung der Filmgeschichte. Als 1961, mitten während der Dreharbeiten zu One, Two, Three, in Berlin die Mauer gebaut wurde, schlug Wilder praktisch augenblicklich komische Funken aus der veränderten geopolitischen Situation. Der mitreissende Stakkatorhythmus dieses Films verrät, wie bereitwillig sich der Filmexilant Wilder, schon aus Furcht vor der Langeweile, dem amerikanischen Mobilitätsdrang unterwerfen konnte.
Was auf der Leinwand spontan wirkt, ist freilich akribisch vorbereitet. Er und seine Co-Autoren feilten so lange an den Dialogen, bis sie haargenau zur Abmessung der Räume passten, in denen die jeweilige Szene gedreht wurde. Die Frage, ob eine Figur fünf oder sechs Schritte brauchte, um bis zum Tisch oder zur Tür zu gelangen, bestimmte darüber, wo die Pointen gesetzt wurden. Auch kurze Pausen für die Lacher plante dieser Feinmechaniker des sarkastischen Humors bereits sorgfältig ein.
Das Kino war für ihn eine Überlebenskunst. Als 1933 das Lachen aus Deutschland vertrieben wurde, brauchte er nicht lange, um in den USA seinen Witz in den angelsächsischen wit zu verwandeln. Kulturerwerb ist dementsprechend ein zentrales Thema seiner Filme. Die neue, unbekannte Sprache meisterte Wilder wie kein zweiter Filmemigrant. Während Fritz Lang Englisch aus den Comic Strips lernte, sog er das neue Idiom wie ein trockener Schwamm aus dem Radio auf. Die Dialoge, die er fortan mit seinen besten Co-Autoren, dem Ostküsten-Literaten Charles Brackett und dem aus Rumänien stammenden «Izzy» Diamond, schrieb, sind derart geschliffen, dass sie sich sogar gegen die Widrigkeiten der Synchronisation gefeit erweisen sollten.
Wilders gewitzte Anpassungsfähigkeit überträgt sich nahtlos auf seine Charaktere. In den Slapstick-Szenen seiner Filme entsteht die Komik nicht aus der Tücke des Objekts, sondern aus dem pfiffigen Einfallsreichtum seiner Figuren, sich diese zunutze zu machen. Souverän entfremden sie die Requisiten ihres ursprünglichen Zwecks. Über Jahrzehnte hinweg entwickelte Wilder die Erzählmöglichkeiten gewisser Objekte stetig weiter – man denke nur die zahlreichen Diktiergeräte in seinen Filmen oder an den Lüftungsschacht der New Yorker Subway, auf dem sich Marilyn Monroe in The Seven Year Itch (1955) abkühlt; der variantenreiche Einsatz eines Nasensprays spiegelt in The Apartment (1960) zuverlässig Jack Lemmons jeweilige Gefühlslage wider. Dieses Raffinement lässt die Objekte zu Koordinaten eines filmischen Universums werden, das denkbar viele Berührungspunkte zur Wirklichkeit besitzt.
Besonders fasziniert ihn die Populärkultur Amerikas. Er kennt sie genau, bezieht sich regelmässig auf Songs, Filme oder Werbung. Wenn er Stars wie Humphrey Bogart, Marilyn Monroe oder James Cagney besetzt, spielt er hintergründig mit ihrem Image. Aus diesem Anspielungsreichtum spricht weniger kennerisches Augenzwinkern, sondern Hochachtung vor der Nachhaltigkeit, mit der sich bestimmte Bilder im kollektiven Gedächtnis des Publikums verankert haben. Wilder kann sich ihrer wie einer Kurzschrift des Kinos bedienen, denn er respektiert das Moment der Übereinkunft, das sich in der populären Kultur manifestiert. Dem trägt auch sein Inszenierungsstil Rechnung, der auf Transparenz und Atmosphäre setzt, was seine Filme enorm gut altern lässt. Nie soll sich ein Kameraeffekt zwischen den Zuschauer und die Geschichte drängen; die Bewegungen der Kamera sind unauffällig durch die der Figuren motiviert.
Wilder, 1906 im österreichischen Sucha (das heute zu Polen gehört) geboren, wurde geprägt vom Klima moralischer und politischer Ungewissheit, das im Wien der Vorkriegszeit und im Berlin der Weimarer Republik herrschte. Die Unbekümmertheit seiner neuen Heimat hört nicht auf, ihn zu verblüffen. Zugleich lotet er deren Materialismus und Doppelmoral mit vergnügtem Zynismus aus. Seine Films noir Double Indemnity (1944) und Sunset Boulevard (1950) gehören zu den düstersten, pessimistischsten Porträts von Los Angeles. Seine Komödienfiguren hingegen müssen von der Verlogenheit amerikanischer Familienwerte kraft einer heilsamen Unmoral erlöst werden; fast jede seiner Komödien handelt von Untreue.
Er misstraute den Gereimtheiten der Happy Ends. Illusion und Täuschung spielen freilich eine komplexe Rolle in seinen Filmen. Zumeist hintergehen seine Protagonisten andere und nutzen sie aus. Die vorgetäuschten Gefühle entpuppen sich indes überraschend oft als wahrhaftig, das Leben in der Lüge mündet im Entdecken einer uneingestandenen Sehnsucht. Der Betrüger wächst auf schmerzvolle Weise in seine Rolle hinein. Das am Ende erreichte, wenngleich prekäre Liebesglück ist keine sentimentale Erlösung, sondern Folge einer Selbsterkenntnis, eines Ringens seiner Figuren, mit sich ins Reine zu kommen.
Dieser Prozess vollzieht sich meist vermittels der Demütigung, bezeichnend oft aber auch als märchenhafte Verwandlung. Dieser romantische Zug zieht sich idealtypisch in Sabrina (1954). Nicht von ungefähr muss Wilder dazu, wie sein Lehrmeister Ernst Lubitsch, regelmässig an europäische Schauplätze zurückkehren (zumeist Paris) und auf europäische Stoffe zurückgreifen. Dort findet er zur Balance aus Unschuld und Erfahrung; die Arglosen im Ausland erhalten Lektionen in Leichtigkeit und Nonchalance. Amerikanischer Unrast setzt er europäische Gelassenheit entgegen. Sein Timing bleibt dabei unbeirrbar. Der vermeintliche Zyniker verwendet eine heute nobel anmutende Sorgfalt, um die Motivation der Figuren zu etablieren. Gewisse Gefühle brauchen ihre Zeit, und manche Handlungen erlangen Integrität und Würde erst in der filmischen Dauer. Seine späten Meisterwerke, vor allem The Private Life of Sherlock Holmes (1970), sind vergnügt-melancholische Studien in Diskretion und Takt. Mit ihnen tritt er endgültig das Erbe Lubitschs an, für den Manieren, Anmut und Stil stets auch moralische Kategorien waren.
Gerhard Midding
Gerhard Midding ist freier Autor für Tageszeitungen, Zeitschriften, Radio und Fernsehen. Er lebt in Berlin.